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Wir sollten Politik und Emotion verbinden

Die Erzeugung von Angst ist äußerst hilfreich, um Herrschaft zu etablieren und zu stabilisieren. Das ist spätestens seit Machiavelli bekannt. Doch wer von Angst überwältigt wird, kann nicht frei sein. Politische Angst unterhöhlt Rechtsstaat und Demokratie. In der Coronakrise ist dies durch den staatlichen Zugriff auf Individuen und Gesellschaft vielen Menschen bewusst geworden. Ulrich Teusch zeigt in seinem neuen Buch, wie wir die Methoden der Angsterzeugung erkennen, uns schützen und wehren können. Ein Kommentar.

Es geschah mir bei einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zum Thema Kriegspropaganda. Der Vortrag war vorbei, viele Fragen waren gestellt worden, ich hatte geantwortet, so gut es ging. Dann kam von einem nicht mehr ganz jungen Herrn noch ein Diskussionsbeitrag, der mich überraschte und ein wenig auf dem falschen Fuß erwischte. All die klugen Argumente, die er gehört habe, die seien ja schön und gut. Aber das spiele sich alles auf einer rein intellektuellen Ebene ab, alle Vermittlung laufe über die Ratio. Auf solche Weise könne man vielleicht den kleinen Kreis dieser Veranstaltung, circa 30 Leute, gewinnen und überzeugen. Viel mehr aber auch nicht. Wenn man sich nur auf das bessere Argument verlasse, werde man die meisten Menschen, vor allem die jüngeren, nicht erreichen. Man müsse sie auch emotional packen. Politik müsse auch über Gefühle vermittelt werden.

Ich antwortete zwar grundsätzlich zustimmend, zog mich aber aus der Affäre, indem ich darauf hinwies, dass ich mich nicht unbedingt für die emotionale Seite der Sache zuständig sähe. Während ich noch sprach, dachte ich darüber nach, wie eigentlich meine eigene politische Sozialisation verlaufen war (und berichtete den Teilnehmern anschließend darüber).

Natürlich wurde ich zunächst und vor allem durch Lektüre zum kritischen Denken verführt. Zum Beispiel durch Sachbuch-Autoren, die den Mut hatten, Geschichte gegen den Strich zu bürsten, wie Bernt Engelmann oder Sebastian Haffner. Auch Zeitungslektüre spielte „zu meiner Zeit“ eine viel größere Rolle als heute. Als Primaner hatte ich durch mein Abo der damals (späte 70er-, frühe 80er-Jahre) in ihrem Qualitätszenit stehenden Frankfurter Rundschau einen klaren Informationsvorsprung vor meinen Mitschülern. Aber die emotionale Seite war ebenfalls beteiligt, und offenbar in höherem Maße, als ich mir das bis dahin bewusst gemacht hatte.

1974 lobte der damalige Bundespräsident Gustav Heinemann einen „Preis für die Schuljugend“ aus. Thema: „Deutsche Revolution 1848/49“. Ich war zwar noch zu jung, um mich ernsthaft zu beteiligen, doch der Aufruf elektrisierte mich. Wenn ich ihn heute wieder lese, erscheint er mir wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten. Wörtlich sagte Heinemann: „Wir haben heute das großartige Angebot einer freiheitlichen rechtsstaatlichen, sozialen Demokratie in unserem Grundgesetz. Für diese Grundrechte ist in unserer Geschichte gekämpft worden. Diese Vorgänge sollten ans Licht gebracht und weit stärker als bisher im Bewußtsein unseres Volkes verankert werden. Daraus lernend sollten wir alle darum bemüht sein, den Wert des Angebotes in unserem Grundgesetz mehr und mehr wahrzunehmen, damit es lebendig werde und sich zum Inhalt unserer ganzen Lebensauffassung entwickle.“

Wie gesagt, ich war 1974 noch zu jung. Aber die Sache ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ein paar Jahre später schrieb ich die große „Jahresarbeit“ an meiner Schule über die revolutionäre Lyrik im deutschen Vormärz. Ich fasste großes Interesse an den „deutschen Volksliedern demokratischen Charakters“ (wie Wolfgang Steinitz sie nannte), hörte Sänger wie Peter Rohland oder Hein & Oss Kröher, politische Liedermacher wie Hannes Wader oder Franz Josef Degenhardt, Kabarettisten wie Hanns Dieter Hüsch. Und ich verehrte politisch engagierte Filmregisseure wie Costa-Gavras oder Pasolini, Francesco Rosi oder Oliver Stone.

Ja doch, die politische Einstellung und Überzeugung war immer auch ein Lebensgefühl. Das gilt wohl auch heute, und der Diskussionsteilnehmer hatte mit seinem Einwand völlig recht: Wir können nicht nur darauf vertrauen, irgendwann den fulminanten argumentativen Durchbruch zu erzielen. Wir müssen auch Gefühle wecken. In der Corona-Krise sind die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen in Deutschland[1] sowie das Projekt „dancer encore[2] in Frankreich erfolgreiche Initiativen.

[1] allesdichtmachen.de/

[2] www.youtube.com/watch?v=SyBEMRyt6Qg

Ulrich Teusch

Ulrich TeuschProf. Dr. Ulrich Teusch, lebt als freier Publizist in Edermünde bei Kassel. Er schreibt Sachbücher und ist Hörfunkautor. Für sein SWR-Feature "Nicht schwindelfrei - Über Lügen in der Politik" erhielt er 2013 den Roman- Herzog-Medienpreis. Im Dezember 2015 lief dann sein viel beachtetes Feature im SWR mit dem Titel "Vertrauen ist gut … Die Medien und ihre Kritiker". Bei Westend erschien zuletzt sein Buch: Der Krieg vor dem Krieg. Wie Propaganda über Leben und Tod entscheidet. (2019)

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