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Willkommen in Gotham City

Fast alle kaufen bei Amazon – ist ja so bequem. Doch wenn wir nicht schon bald in die absolute Abhängigkeit zu einem Megakonzern mit zweifelhaften Geschäftspraktiken werden wollen, hilft nur zu sagen: „Schnauze, Alexa!“  Ein Kommentar von Johannes Bröckers, Autor des gleichnamigen Buches. 

Die stabilsten Gewinne erwirtschaftet Amazon nicht mit seinem Onlinekaufhaus oder seinem Marktplatz, sondern mit den 2006 gestarteten Amazon Web Services (AWS). Mit AWS stellt Amazon Unternehmen, die ihre Informationstechnik ins Internet verlagern wollen, Computerkapazitäten und IT-Services bereit. In diesem Cloud-Geschäft konkurriert Amazon mit Unternehmen wie Microsoft und Google, ist aber auch hier bereits der eindeutige Weltmarktführer. Im zweiten Quartal 2018 steigerte Amazon in diesem Feld den Umsatz um 49 Prozent auf 6,1 Milliarden Dollar bei einem Betriebsgewinn von 1,6 Milliarden Dollar (siehe R. Lindner 2018). Mehr als eine Million aktive Kunden nutzen inzwischen die Amazon Web Services, vom kleinen Einzelkunden, der in der Amazon Cloud seine Daten und Bildarchive ablegt, über Start-ups, die sich kein eigenes Rechenzentrum leisten können, bis zu großen Konzernen wie Netflix, Adobe oder etwa zwei Drittel der deutschen DAX-Unternehmen, die ihre IT-Strukturen bei Amazon outsourcen, um Geld zu sparen.

David Cheriton rät dringend davon ab: »Das ist so, als ob man sein Gehirn bei Bezos auslagert und ihm das Denken überlässt.« (siehe M. Hohensee 2018) Cheriton, Informatiker und Professor in Stanford, ist ein Urgestein der digitalen Welt, und hat jene Netztechnologien mitentwickelt, auf denen Amazon sein Imperium heute aufbaut. Ende der 1990er Jahre gab er den Stanford-Studenten Larry Page und Sergey Brin den ersten 200.000-Dollar-Kredit für den Start von Google. Wovor er warnt, ist die Abhängigkeit, in die sich Unternehmen begeben, wenn sie ihre IT auf die Amazon-Server auslagern. Einmal mit dieser Struktur verbunden, wird es schwer, hier jemals wieder rauszufinden. Und wenn dann bei AWS ein Fehler passiert und die Server abstürzen, dann gehen, was schon vorgekommen ist, 150.000 Websites gleichzeitig offline.

Zunehmend werden die AWS auch von Behörden und öffentlichen Einrichtungen genutzt. Von Museen und Krankenhäusern zum Beispiel oder auch von der CIA, für die AWS im Rahmen eines 600-Millionen-Dollar-Auftrags eine Art Secret Cloud entwickelt und umgesetzt hat, die jetzt irgendwo topsecret auf den Amazon-Servern versteckt ist. Aktuell winkt das amerikanische Verteidigungsministerium für einen ähnlichen Auftrag mit einem Budget von zehn Milliarden Dollar! Da wird noch verhandelt, auch mit Mitbewerbern wie Microsoft, wahrscheinlich aber hat Amazon als Weltmarktführer mit CIA-Referenz die Nase vorn. Das ist schon lustig. Über seinen Twitter-Kanal beschimpft Präsident Donald Trump bei jeder sich bietenden Gelegenheit Jeff Bezos, weil der mit zu geringen Frachttarifen die amerikanische Post ruiniert, aber natürlich auch weil Bezos Inhaber der Washington Post ist, also Fake News über den Präsidenten verbreitet. Im Hintergrund aber macht das Verteidigungsunternehmen mit Jeff Bezos einen Milliarden-Mega-Deal klar. Wer hat denn hier jetzt eigentlich das Sagen?

Fassen wir doch mal zusammen: Amazon ist das weltweit größte Onlinekaufhaus und gleichzeitig Betreiber des größten Marktplatzes für Händler aus aller Welt. Zusätzlich stellt Amazon mit seinen Web Services den größten Teil der digitalen Infrastruktur, die diese ganze smarte Welt am Laufen hält, und hat die Daten und Ideen von tausenden Unternehmen auf seinen Servern liegen. Und weil wir in Kürze alle auch Alexa to go im Taschenformat mit uns herumtragen, verfügt Amazon über die täglich aktualisierten Bewegungs- und Lebensprofile von Millionen Kunden. Ach ja, CIA und Pentagon sind auch schon bestens ins Amazon-Imperium integriert. Scheiße, wo ist eigentlich Batman, wenn man ihn wirklich mal braucht? Wenn wir nicht aufpassen, sind wir gar nicht mehr so weit entfernt von Gotham City.

Johannes Bröckers

Johannes BröckersJohannes Bröckers, Jahrgang 1960, studierte Germanistik und Europäische Ethnologie in Marburg und arbeitete als Journalist, Texter und Creative Director in der Werbung. 2000 gründete er pleasant_net, das Büro für strategische Beeinflussung. Er lebt und arbeitet als Marketingberater, Autor und Dozent in Frankfurt am Main.

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