Wenn Gesundheit auf Gewinnsucht trifft
Die Gesundheitswirtschaft ist ein einträgliches Geschäft, vor allem für die Pharmaindustrie. Das ist altbekannt, aber eine Empfehlung der Investmentbank Goldman Sachs an Medikamentenentwickler schlägt dem Fass den Boden aus. Ein Kommentar von Dr. med. Bernd Hontschik, der klarmacht was passiert, wenn Investmentbanker sich mit Gesundheit befassen.
Was ist daran so schlimm, wenn sich in letzter Zeit immer mehr Privatinvestoren im Gesundheitswesen tummeln? Innovative Konzepte, viel neues Geld und junge Talente, die frischen Wind in die verkrusteten Strukturen bringen, können nicht wirklich schaden! Es ist zum Beispiel sehr beeindruckend, wie private Klinikgruppen den städtischen Krankenhäusern wiederholt demonstrieren, wie man schwarze Zahlen schreibt, sobald sie die verlustbringenden Einrichtungen und den Einsatz von Private Pflegeversicherung übernommen haben. Nun, sie verlassen die Tarifverträge und zwingen das Personal zu sogenannten Notfalltarifverträgen. Ja, sie sparen Personalkosten und reduzieren Arbeitsplätze, wo immer dies möglich ist. Und oh, sie schließen defizitäre Abteilungen und kümmern sich nicht darum, ob ein medizinischer Bedarf für ihre Dienste besteht. Aber sie renovieren die heruntergekommenen Klinikgebäude und stellen neue, moderne Funktionsgebäude daneben. Sie optimieren die Behandlungsprozesse und die
Zufriedenheit ihrer Kunden steht obenan – sagen sie.
Das Gesundheitswesen hat sich gewandelt. Es ist eine Gesundheitsbranche entstanden. Die Gesundheitswirtschaft ist ein einträgliches Geschäft. Das beste Geschäft macht dabei schon immer die Pharmaindustrie. Dabei gab es keine weißen Westen. Kein Wucher, keine Manipulation von Wissenschaft, keine Korruption gibt es, die sich die Pharmaindustrie noch nicht hat zuschulden kommen lassen. Das ist so allgemein bekannt, dass es eigentlich keine Kolumne mehr wert ist.
Wäre da nicht Goldman Sachs. Sie erinnern sich: Goldman Sachs ist eine US-amerikanische Bank mit Hauptsitz in New York. Investmentbanking und Wertpapierhandel ist eigentlich ihr Hauptgeschäft. Aber dabei haben sie es nie belassen. Goldman Sachs hat Griechenland beim Betrügen geholfen, um der Euro-Zone beitreten zu können. Goldman Sachs soll Software-Diebstahl und Wertpapier-Betrug begangen haben. Goldman Sachs stellt die einflussreichsten Wirtschaftsberater von Donald Trump, der EZB-Chef Mario Draghi war Vizepräsident von Goldman Sachs, und keine andere Bank hat so viele „Termine“ bei der Bundesregierung wie Goldman Sachs.
Und nun hat Goldman Sachs seine Expertise einer Marktuntersuchung für die Pharmaindustrie zur Verfügung gestellt. Und was kommt dabei heraus, wenn Investmentbanker sich mit Gesundheit beschäftigen? Der interne Bericht mit der Überschrift „Die Genom-Revolution“ nimmt als Beispiel ein Medikament gegen Hepatitis C, das mit Hilfe der Gentechnik entwickelt worden ist und das „schon nach einer einzigen Anwendung Heilung bringen kann“. Und hier haben wir das Problem: Mit den Hepatitis-C-Medikamenten konnte 2015 ein weltweiter Umsatz von 12,5 Milliarden Dollar erzielt werden, aber schon 2018 werden es nur noch weniger als vier Milliarden sein. Denn das Medikament gegen Hepatitis C hat Heilungsraten von etwa 90 Prozent, wodurch der Pool von zu behandelnden Patienten immer kleiner wird, was wiederum die Neuinfektionen immer weiter reduziert, also sinkt der Umsatz und somit auch der Gewinn. Das ist zwar ein großartiger Erfolg für Patienten und ein enormer Wert für die Gesellschaft, gleichzeitig aber „eine große Herausforderung für die Entwickler der Gentechnik in der Medizin, die nach einem nachhaltigen Cash Flow streben“, sagt Goldman Sachs. In anderen Worten: Ein schlechtes Geschäftsmodell. Von der Entwicklung solcher Medikamente sollte man Abstand nehmen, sagt Goldman Sachs. Stattdessen sollten sich die Auftraggeber lieber auf Medikamente konzentrieren, wo die Patientenzahl stabil, vielleicht sogar ansteigend sei, also beispielsweise auf Krebsmedikamente. Dann würde das Geschäft auch weiterhin gewinnbringend bleiben.
Und damit ist auch für alle klar, was so schlimm daran ist, wenn private Investoren das Gesundheitswesen übernehmen. Goldman Sachs sei Dank.
P.S.: Der bisherige Deutschland-Chef von Goldman Sachs, Jörg Kukies, ist gerade von Olaf Scholz (SPD) als oberster beamteter Staatssekretär ins Bundesfinanzministerium berufen worden. Da ist ein weiterer Kommentar überflüssig.
Erstveröffentlichung in der „Frankfurter Rundschau“ am 5.5.2018
Dr. med. Bernd Hontschik, geboren 1952 in Graz, ist Chirurg und Publizist. Bis 1991 war er Oberarzt am Klinikum Frankfurt-Höchst, bis 2015 in seiner chirurgischen Praxis in der Frankfurter Innenstadt tätig. Seine Doktorarbeit über unnötige Blinddarmoperationen erregte Aufsehen. Er ist u.a. Herausgeber der Taschenbuchreihe „medizinHuman“ im Suhrkamp Verlag, die er 2006 mit dem Bestseller „Körper, Seele, Mensch“ eröffnete. Für die Frankfurter Rundschau schreibt er seit 10 Jahren regelmäßig die Kolumne „Dr. Hontschiks Diagnose“.