Tier und Mensch
Die moderne Wissenschaft irrt, wenn sie glaubt, Erkenntnisse über die Natur nur aus der Erforschung im Labor ziehen zu können, sagt Helmut Höge. Für den Wissenschaftsjournalisten, Biologen und Amateurforscher ist es vor allem der enge Kontakt zu den Tieren, der uns ihrem eigentlichen Wesen näher bringen kann. Zum Erscheinen am 1. August 2018 ein Textauszug aus seinem Buches „Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung“. Darin unternimmt Höge einen kleinen Ausflug in die Welt der Fische, die viel lauter ist als gedacht.
Schon lange wird der Gehörsinn von Fischen erforscht, ebenso ihre Lautäußerungen. Sie haben wie alle Wirbeltiere ein inneres Ohr und nehmen zudem Geräusche mit der ganzen Körperoberfläche auf. Bei den meisten Arten werden die Geräusche auf die Schwimmblase übertragen, die als Resonanzboden wirkt, so wie bei Menschen das Trommelfell. Unter Wasser werden Töne zudem deutlicher wahrgenommen, weil sich dort der Schall schneller ausreitet als in der Luft. Deswegen sind Aquarien in Kneipen verboten: der Lärm ist eine Qual für die Fische.
Einer der Ersten, der ihren Gehörsinn experimentell erforschte – an Ellritzen in einem See neben seinem Haus, war 1932 der Entdecker der Bienen-Tanzsprache Karl von Frisch. Dabei war ihm die Frage gekommen, ob Fische erkennen können, woher der Schall kommt, denn ihnen sind die anatomischen Voraussetzungen dafür nicht, wie bei uns, gegeben. Sie können die Schallrichtung nicht erkennen. Das hatte er erwartet, aber dies führte ihn auf ein anderes Gebiet: Er hatte eine Ellritze gefangen und mit der Nadel einen bestimmten Nerv durchtrennt. Als er sie wieder ins Wasser entließ, flüchtete der ganze Schwarm und versteckte sich. Es stellte sich heraus, dass bei Verletzung der Haut einer Ellritze ein »Schreckstoff« ins Wasser gelangt, der für die anderen eine alarmierende Wirkung hat, sobald sie ihn riechen. Als Ergebnis vieler Versuche, auch mit anderen Fischen, stand für den Biologen fest, »dass ein Schreckstoff ganz allgemein bei Karpfenfischen vorkommt, zu denen fast Dreiviertel unserer Süßwasserfische gehören«. Er berichtete darüber zuletzt in seinen Erinnerungen eines Biologen (1973).
Neuerdings haben australische Zoologen festgestellt, dass auch einige Korallenfische, unter anderem Mönchsfische, diesen »Schreckstoff« ausstoßen, wenn sie sich von anderen Raubfischen nur bedroht fühlen. Da die darwinistischen Wissenschaftler anders als Karl von Frisch »Altruismus« ausschließen, gehen sie stattdessen davon aus, dass der Schreckstoff weitere Raubfische anlocken soll, sodass diese erst einmal untereinander kämpfen, angeblich kann sich die Überlebenschance des Mönchsfischs dabei »von fast null auf ca. 40 Prozent« erhöhen. Was für absurde gedankliche Klimmzüge und Berechnungen die Darwinisten doch machen müssen, um auf Linie zu bleiben … Andere australische Fischforscher haben gerade bei Korallenfischen, genauer: bei 28 Kaninchenfisch-Arten, »Altruismus – reziprokes Kooperationverhalten« beobachtet: Diese Fische leben stets zu zweit, wenn der eine in Riffspalten nach Algen sucht, hält der andere davor Wache, anschließend wechseln sie sich ab.
Bei Heringen, die einst in Schwärmen mit mehreren Milliarden Tieren den Küsten nahe kamen, konnte man ihre akustische Kommunikation schon von weitem hören. Die Fischer nannten es zutreffend »Heringsfurzen«. Der auf Rügen geborene Schriftsteller Holger Teschke arbeitete ab 1978 zunächst auf einigen Heringskuttern. Dort knietief in Heringen stehend bemerkte er, »dass kein Hering dem anderen glich«. In seinem Buch Heringe (2014) erwähnt er ferner, dass einige Fischforscher schon in den Sechzigerjahren zwischen Rügen und Hiddensee die Töne von Heringen aufzeichneten.
Als Aristoteles sich für Tierlaute interessierte, befragte er auch einige Fischer, heraus kam dabei unter anderem, dass Knurrhähne grunzen und Peterfische pfeifen. Der Leiter des Aquariums im Meeresmuseum von Stralsund, Karl-Heinz Tschiesche, studierte ebenfalls die Lautäußerungen von Fischen, wie er in seinen Erinnerungen Seepferdchen, Kugelfisch und Krake (2005) schreibt. Er hängte dazu nachts, wenn keine Besucher mehr da waren, Unterwasser-Mikrophone in die Aquarien.
Ähnlich verfahren heute die Meeresbiologen auf der Helgoländer Forschungsstation. Neuerdings wird diese auch noch regelmäßig von Fischforschern besucht: vom Team des Schweizer Wissenschaftshistorikers Christoph Hoffmann. Der Neuen Zürcher Zeitung erklärte er, was ihn dort interessiere: »Schön ist an diesem Projekt, dass es drei Ebenen eröffnet. Die Fisch-Ökologen dort untersuchen, ob und wie Fische akustisch kommunizieren. Das Interessante für mich ist zum einen das Geisteswissenschaftliche, wo der Begriff der Kommunikation im Zentrum steht. Wenn Menschen kommunizieren, erkennt man das leicht. Bei Fischen von Kommunikation zu sprechen, verlangt zum andern aber nach neuen Kriterien. Diese müssen also zuerst definiert werden. Als Wissenschaftsforscher interessiert uns, wie diese entwickelt werden. Wir lernen dabei auch etwas über unsere eigenen Vorstellungen. Forschung an Tieren liefert oftmals den Anlass für Aussagen, was Menschen ausmacht. Auf einer weiteren Ebene spielt das Tier eine Rolle, das trotz eigenem Rhythmus mitspielen muss. Das Ziel des Forschungsprojekts muss also mit dem Leben des Tieres zusammengebracht werden. In den Forschungsperioden wird, damit man nicht in das Leben der Tiere eingreift, während sieben Tagen einfach das ganze akustische und optische Geschehen aufgezeichnet. Wir haben also riesige Datenmengen. Als dritte Ebene interessiert mich der Umgang mit dieser Datenflut.«
Die Helgoländer Fischforscher haben eine Dependance auf Spitzbergen. Dort werden die »Habitate und Migrationen« von Fischen untersucht. Um dazu die notwendigen »konstanten Messreihen zu erhalten, wurde vor der Küste die Unterwasserstation RemOs installiert, die, mit Messsonden und Kameras bestückt, aktuelle Daten wie Stereometriebilder, Temperatur, Trübheit oder Salzgehalt des Wassers ans Festland sendet.« Der Schweizer Künstler Hannes Rickli hat die Daten 2014 für eine Ausstellung »Fischen lauschen« in einer Berliner Galerie »archiviert«. Daneben hatte er auch noch vor der Küste von Spitzbergen »sechs akustische Sensoren neben die Sonden« der Fischforscher unter Wasser installiert. Davon konnte man sich in der Galerie mit einem Kopfhörer überzeugen. Es passierte jedoch nicht viel unter Wasser, keine Fische, erst recht nicht sich miteinander unterhaltende.