Rechtsextremisten im Parlament: AfD ein Jahr im Bundestag
Am 24. Oktober 2018 vor genau einem Jahr zog die AfD mit 92 Abgeordneten in den Bundestag ein und avancierte nach Bildung einer neuerlichen CDU/CSU-SPD-Koalition zur größten Oppositionsfraktion. Welch eine dramatische Zäsur in der Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland und welch ein trauriges Jubiläum, kommentiert Christoph Butterwegge. Gerade hat er zusammen mit Gudrun Hentges und Gerd Wiegel das Buch „Rechtspopulisten im Parlament. Polemik, Agitation und Propaganda der Afd“ herausgebracht.
Seit die AfD in das EU-Parlament, in Kommunal- und Landesparlamente sowie in den Bundestag gelangt ist, wo ihre Abgeordneten durch aggressives, konfrontatives und provokatives Verhalten auffallen, hat sich Deutschland spürbar verändert. Sein parlamentarisches, Regierungs- und Parteiensystem, jahrzehntelang ein wahrer Hort der Stabilität, scheint dadurch ebenso Schaden genommen zu haben wie die politische Kultur und das soziale Klima.
Das erste Mal seit den 1950er Jahren gestaltet eine rechtsextreme bzw. rechtspopulistische Partei mit einem starken völkisch-nationalistischen Flügel die politischen Geschicke der Bundesrepublik offiziell mit, ganz so, als hätte es die Erfahrung des NS-Regimes nie gegeben. Ohne an irgendeiner Regierung beteiligt zu sein, beeinflusst die AfD den Gesetzgebungsprozess. Besonders deutlich spürbar ist das in der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik sowie im Bereich der Inneren Sicherheit. Falls sich die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertieft, eine schwere Wirtschaftskrise das Vertrauen in die bestehenden Institutionen zerstört und ein Klima der Angst und der Verunsicherung entsteht, in dem die AfD einflussreichen Kreisen als Hoffnungsträger erscheint und als Machtfaktor erstarkt, ist die Demokratie sogar akut bedroht.
Nach der Hessen-Wahl am 28. Oktober ist die AfD auch in allen Landesparlamenten vertreten, was dauerhaft nur den Unionsparteien und der SPD gelang. Auch dies zeigt, dass sich die Rechtspopulisten etabliert haben und mittlerweile eine feste Größe im politischen Leben unseres Landes darstellen. Seit ihrem am 1. September zusammen mit den „Patriotischen Europäern gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA) und der „Bürgerbewegung pro Chemnitz“ in dieser sächsischen Großstadt organisierten „Schweigemarsch“ lässt sich nicht mehr übersehen, dass die AfD mobilisierungsfähig und im ultrarechten Bewegungsmilieu verankert ist. Auf der Straße will sie Druck auf die Regierenden machen, im Bundestag als parlamentarischer Arm der äußersten Rechten wirken und die politische Achse des Landes so in Richtung einer „illiberalen Demokratie“ (Viktor Orbán) verschieben.
Noch besteht die AfD aus zwei auf Dauer schwerlich miteinander zu vereinbarenden Richtungen des Rechtspopulismus: Der sozialprotektionistische und wohlfahrtschauvinistische Flügel, in Ostdeutschland eindeutig dominant, drängt auf ein Rentenkonzept, das die Altersarmut zumindest einhegt, während die neo(national)liberale Strömung, in Westdeutschland stärker verankert, mehr Markt, Eigenverantwortung und Privatinitiative statt Absicherung durch einen fürsorglichen Staat fordert. Fortsetzung der neoliberalen Austeritätspolitik oder ein Politikwechsel zu (etwas) mehr sozialem Ausgleich – um diese Streitfrage geht es. Wie sich die Gesamtpartei in dem über ihre Zukunft entscheidenden Richtungsstreit positioniert, dürfte auch für die Arbeit der AfD-Parlamentsfraktionen von großer Bedeutung sein. Wie der Kampf beider Linien ausgeht, weiß niemand genau.
Die gesellschaftliche Ausgrenzung, Stigmatisierung und Isolierung der AfD stoßen trotz der innerparteilichen Gegensätze wegen der zunehmenden Etablierung dieser Partei – auch und gerade in den Parlamenten – bei ihrer heterogen strukturierten Wählerklientel an Grenzen. Nur ein konsequenter Kampf gegen die äußerste Rechte, der zivilgesellschaftliche Aktivitäten und außerparlamentarische Initiativen einschließt, kann die Normalisierung der parlamentarischen AfD-Repräsentanz verhindern. Ein gewisser Vorteil liegt darin, dass der Durchbruch und Aufstieg einer rechtspopulistischen Partei in der Bundesrepublik im Vergleich zu den meisten europäischen Nachbarländern ziemlich spät kommt. Das bietet zumindest die Möglichkeit, die Reaktionen in anderen Ländern sowie die Stärken und Schwächen im Umgang mit der populistischen Rechten zu berücksichtigen.
Die politischen Gegenspieler der AfD machen schwerwiegende Fehler. Vor allem die CSU lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit monatelang auf die Flüchtlings- und Asylpolitik, das zentrale Wahlkampfthema der AfD. Weil die bayerische Regierungspartei den Wählern überdies keine Alternative zum völkisch-nationalistischen Abschottungskonzept der AfD bot, war es nicht verwunderlich, dass viele für das Original statt für die Kopie stimmten. Besonders penetrant protegiert ausgerechnet Bundesinnenminister Horst Seehofer den Rechtspopulismus. So bezeichnete er die Migration als „Mutter aller politischen Probleme“, obwohl Armut die Mutter aller Migrationsbewegungen und somit auch jener Probleme ist, die hieraus erwachsen. Würde man global die Armut energischer bekämpfen, gäbe es weniger Menschen, die ihrer prekären Situation zu entfliehen suchen. Stattdessen bekämpft Seehofer lieber die Migranten – Hauptleidtragende der wachsenden sozialen Ungleichheit wie daraus resultierender Krisen, Kriege und Bürgerkriege.
Prof. Dr. Christoph Butterwegge ist Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt) und lehrte bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln.