Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung
Viele haben mittlerweile erkannt: Eine von Konzerninteressen, Hochglanzwerbung und politischer Agitation wie „Deutschland geht es so gut wie nie zuvor“ (Angela Merkel) geprägte „Berichterstattung“ hat mit ihrer sozialen Realität nichts mehr gemein. Eine „Kernschmelze des Vertrauens“ (Edelman Trust Barometer 2017) findet statt, Kritiker werfen den Medien Propaganda vor und verweisen auf eine Berichterstattung, die kein Problem damit hat, entgegen journalistischer Standards mit Lügen den Weg in eine Politik zu ebnen, für die Kriege und das Anstacheln von Feindseligkeiten selbstverständlich geworden sind. Die Einseitigkeit und Parteilichkeit vieler Medien ist kaum mehr zu ertragen. Doch was sind die Ursachen dieser Krise? Und ist ein ehrlicher und ausgewogener Journalismus überhaupt noch vorstellbar? Dazu hat Jens Wernicke mit zahlreichen Experten, Wissenschaftlern und Journalisten gesprochen und legt nun mit seinem Buch „Lügen die Medien?“ ein unverzichtbares Kompendium der Medienkritik vor. Ein Auszug.
Es wird immer offensichtlicher: Nach mehreren Jahrzehnten neoliberaler Praxis ist die Armut auch in die Länder des reichen Nordens zurückgekehrt, und Krieg ist wieder zum regulären Mittel der Politik avanciert. Noch glauben die meisten, dies sei Zufall, eine unglückliche Fügung, der Dummheit oder Korruptheit »unserer« Politiker geschuldet. Oder – im Falle des Krieges – eine notwendige Reaktion auf das Wirken einzelner Verrückter, in der Regel »feindliche Kombattanten« oder »Terroristen« genannt.
Tatsächlich jedoch deutet sich das Ende unserer bisherigen Gesellschaftsordnung, das »Ende der Megamaschine«, wie Fabian Scheidler dies nennt, immer deutlicher an: Das bisherige System permanenter Akkumulation von Reichtum und Macht in den Händen einiger weniger ist an seine Grenzen gestoßen. Aus eben diesem Grund arbeiten mächtige Think-Tanks und andere Kreise weltweit und sehr gezielt daran, öffentliches Eigentum sowie auch die Ressourcen fremder Länder den Reichen und Mächtigen zu übereignen. Vordergründig betreiben sie Bewusstseinsarbeit, verbreiten Ideologie und erklären, warum Arme faul und Menschen anderer Länder »der Feind« und also böse sind. Hinter all der wohlfeilen Rhetorik, mit welcher sie ihre Motive zu verschleiern und ihr Vorgehen zu legitimieren versuchen, organisieren sie jedoch in globalem Maßstab ein Regime der »Akkumulation durch Enteignung«. Und das müssen sie auch, benötigt die Megamaschine doch »Raubzüge« gegen fremde Völker und die Armen im eigenen Land, denn sonst zerbrächen die bestehenden Verhältnisse in kürzester Zeit. Wer nicht ständig neuen Profit generiert, dessen Macht und Einfluss werden verschwinden.
Das, was uns als »Krise des Vertrauens in die Medien« dargeboten und als Resultat des wachsenden Einflusses von Populisten auf die Menschen erklärt wird, ist in Wahrheit das genaue Gegenteil. Nicht »dümmer«, sondern »wacher« werden die Menschen in einer Zeit, in der die inneren Widersprüche »allgemeiner Wahrheiten« immer offensichtlicher zutage treten.
Auch die 12,5 Millionen Menschen, die inzwischen in Armut leben, und die fast 15 Millionen, die die Realität des Hartz-IV-Regimes bereits ganz persönlich und hautnah erleben »durften« – wie könnten diese noch in Breite und auf Dauer »glauben«, dass sie für ihr Elend selbst verantwortlich sind? Während ihnen sowohl Lebenschancen als auch -sicherheiten immer weiter entzogen werden und sie zugleich erfahren, dass in den Händen einiger ihrer Landsleute unermesslicher Reichtum kumuliert. 1,2 Millionen Millionäre gibt es in Deutschland.
Was infolge der aktuellen medialen wie politischen Einseitigkeit inzwischen tatsächlich und in immer gravierenderem Maße erodiert, ist das Vertrauen der Menschen in die gesellschaftliche Ordnung an sich. Eine Tatsache, die schwer zu glauben, jedoch längst durch umfangreiche Studien und Untersuchungen belegt worden ist. So konstatiert etwa das »2017 Edelman Trust Barometer« – eine globale Untersuchung von Edelman, einer der größten PR-Agenturen der Welt, die die Eliten vieler Länder berät – im Januar 2017 eine »weltweite Kernschmelze des Vertrauens« der Menschen: in die Medien, in die Politik, in die parlamentarische Demokratie, ja sogar in das gesamte »System«. Das Gesamtergebnis der Untersuchung ist so erschreckend wie ermutigend zugleich, belegt es doch, dass die Macht der Meinungsmacher nicht absolut und unüberwindbar scheint. Das Resümee der Studie:
»Im Zuge des Vertrauensverlustes bezweifeln die meisten Befragten mittlerweile, dass das System in ihrem Sinne fungiert. In einem solchen Klima werden die sozialen und ökonomischen Bedenken der Menschen, etwa zur Globalisierung, zum rasanten Innovationstempo oder zum Verfall gesellschaftlicher Werte und Normen, zu Ängsten, welche eben jene populistischen Tendenzen befördern, die in einigen westlichen Demokratien momentan zu beobachten sind.«
Die Frage, die sich stellt und von vielen aktuell gestellt, aber leider falsch beantwortet wird, lautet insofern: Sind all die Menschen, die in Anbetracht der Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte nicht mehr glauben können, dass ihre Repräsentanten und »Führer« es wirklich gut mit ihnen meinen, wirklich »dumm«, »irre«, »konfus«, »verwirrt« und »Populisten« und »Fake News« auf den Leim gegangen? Oder äußert sich in ihrem Unbill nicht letztlich ein gesundes und offenbar nicht auszutreibendes Widerstandspotential, eine zutiefst menschliche und dem Leben dienende Art »Vernunft«, die sich nicht ausmerzen lässt?
Teilt man die weit verbreitete Ansicht, die Medien seien eine »vierte Gewalt« und dienten der Kontrolle der Mächtigen durch die Bevölkerung in einem demokratischen Land, kann man nur annehmen, dass eine Bevölkerung, die »ihren« Medien nicht mehr traut, von allen guten Geistern verlassen sein muss. Es gibt jedoch eine andere, weniger verbreitete These zur Funktion der Medien in unserer heutigen Demokratie. Einer der bedeutendsten lebenden Intellektuellen der Welt, Noam Chomsky, hat sie einmal auf diese kurze Formel gebracht:
»Indoktrination ist keineswegs inkompatibel mit der Demokratie. Vielmehr ihre Essenz. Ohne Knüppel, ohne Kontrolle durch Gewalt muss man das Denken kontrollieren. Dazu greift man zu dem, was in ehrlicheren Zeiten Propaganda genannt wurde.«
Und tatsächlich: Beim Blick auf die Fakten und Entwicklungen ergibt sich ein Bild, das dieser These von Chomsky Gewicht verleiht. So stammt etwa ein Großteil der massenmedialen »Nachrichten« und »Meldungen« inzwischen von PR-Agenturen oder von anderen Agenten der Meinungsmache für die Herrschenden. Dabei fußt ebendiese Public Relation nachweisbar auf nichts anderem als dem, was vor einigen Jahrzehnten noch offen unter dem Namen »Propaganda« firmierte und dessen Zweck vom Vater derselben, Edward Bernays, in seinem Hauptwerk Propaganda: Die Kunst der Public Relations von 1928 erschreckend offen benannt worden ist:
»Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der Verhaltensweisen und Einstellungen der Massen ist ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Organisationen, die im Verborgenen arbeiten, lenken die gesellschaftlichen Abläufe. Sie sind die eigentlichen Regierungen in unserem Land. Wir werden von Personen regiert, deren Namen wir noch nie gehört haben. Sie beeinflussen unsere Meinungen, unseren Geschmack, unsere Gedanken. Doch das ist nicht überraschend, dieser Zustand ist nur eine logische Folge der Struktur unserer Demokratie: Wenn viele Menschen möglichst reibungslos in einer Gesellschaft zusammenleben sollen, sind Steuerungsprozesse dieser Art unumgänglich. Die unsichtbaren Herrscher kennen sich auch untereinander meist nicht mit Namen. Die Mitglieder des Schattenkabinetts regieren uns wegen ihrer angeborenen Führungsqualitäten, ihrer Fähigkeit, der Gesellschaft dringend benötigte Impulse zu geben, und aufgrund der Schlüsselpositionen, die sie in der Gesellschaft einnehmen. Ob es uns gefällt oder nicht, Tatsache ist, dass wir in fast allen Aspekten des täglichen Lebens, ob in Wirtschaft oder Politik, unserem Sozialverhalten oder unseren ethischen Einstellungen, von einer (…) relativ kleinen Gruppe Menschen abhängig sind, die die meisten Abläufe und gesellschaftlichen Dynamiken von Massen verstehen. Sie steuern die öffentliche Meinung, stärken alte gesellschaftliche Kräfte und bedenken neue Wege, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen.«
Sollte Chomsky mit seiner Einschätzung recht haben, bedeutet dies, dass die Medien nicht »uns«, der allgemeinen Bevölkerung, zu Diensten sind, sondern von Beginn an als Mittel der »Gedankenkontrolle« in einer für die Eliten sonst unwägbaren Demokratie etabliert worden sind. Aus dieser Perspektive wäre auch die aktuelle »Mediendebatte« ganz anders zu verstehen. Hinter so wohlfeilen Begriffen wie »Krise des Vertrauens in die Medien«, »Qualitätsjournalismus«, »Fake News« und »Bekämpfung von Propaganda« würde sich in Wahrheit der Kampf um die unbedingte Glaubwürdigkeit der neoliberalen Ideologie verbergen.
Zur Verteidigung der mit rationalen Argumenten nicht mehr zu rechtfertigenden gesellschaftlichen Zustände sind die Eliten – unter dem Deckmantel verschleiernder Begrifflichkeiten und überschüttet vom Applaus eines Großteils der Medien – momentan ganz offen dabei, Dinge wie Zensur und Gesinnungsprüfungen für Journalisten – unter den Labels »Qualitätssicherung« und »Kampf gegen Fake News« – aus der Mottenkiste der Geschichte hervorzuholen. Die Orthodoxie ist offenbar fest entschlossen, ihr Dogma gegen die Häretiker und deren gesellschaftliche Alternativen auch mit totalitären Mitteln zu verteidigen. Diese Entwicklungen gehen selbst einigen Vertretern der Elite zu weit. So erklärte beispielsweise ausgerechnet Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer und Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger, in einem bemerkenswerten Interview vom 1.2.2017:
»George Orwell war harmlos dagegen. Ich habe den Eindruck, dass gerade ein paar Grundprinzipien freiheitlicher Gesellschaftsordnung mit Füßen getreten werden. Viele böse Dinge dieser Welt begannen im Namen der guten Absichten. Die gute Absicht heilt den Bruch eines Prinzips nicht. Was Wahrheit ist, definiert keine Regierung (…). Und was den Menschen zuzumuten ist, sollten nicht Zensurbehörden definieren.«
Ich bin davon überzeugt, dass wir die Wahrheit – so es eine solche denn gibt – nur dann zu erkennen vermögen, wenn wir uns die Mühe machen, aus den vielen Puzzleteilen derselben das komplexe Gesamtbild wieder zusammenzufügen. Eine bessere, sozialere Welt werden wir nur zu erringen vermögen, wenn wir die Tatsache respektieren, dass es viele gibt, die hierzu etwas beizutragen haben; dass eine Welt der »Gleichen unter Gleichen« auch und vor allem durch Taten entsteht. Durch Taten der Gemeinschaft, des Respektes, der Solidarität, des Vertrauens – Taten also, in denen sich der eine nicht mehr anmaßt zu wissen, was für alle gut und richtig ist.