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Plädoyer für eine Abkehr vom Neoliberalismus

In Europas Währungsunion hat man es zugelassen, dass Divergenzen und Ungleichgewichte entstehen konnten, die in einer Währungsunion, speziell einer Währungsunion, die keine Fiskal- und Transferunion ist und sein will, nicht entstehen dürfen. Die (absehbare) Krise brach dann herein auf eine fehlkonstruierte Währungsunion, die keine automatische Krisenabwehr bereithielt. Die improvisierte Krisenbekämpfung unter deutscher Führung setzte blind auf allgemeine Sparpolitik und asymmetrische Anpassung durch die Defizit- und Schuldnerländer allein. Das Ergebnis der Troika-Giftmischung war ein krasses Desaster, speziell für die Eurokrisenländer, aber auch für die Eurozone insgesamt, die bis heute extrem fragil und vom Zusammenbruch bedroht bleibt, zeigen Heiner Flassbeck und Jörg Bibow.

Deutschland hat eine lange Tradition, durch innere Disziplin dauernde Leistungsbilanzüberschüsse zu erzielen. Mit dem Export der Stabilitätskultur in die Europartnerländer hätte Deutschland sein altes Modell einmotten müssen – dies zu unterlassen führte zur Eurokrise. Frankreichs wirtschaftspolitische Traditionen sind besser geeignet, als Inspiration für die Euro-Währungsunion zu dienen. Frankreichs heutige Krise begann mit dem Einlenken auf den deutschen Kurs ab 2011. Frankreichs eigentliches Problem ist dem von Italien und Spanien gleich: Alle drei Länder müssen ihre Wettbewerbsposition gegenüber Deutschland verbessern. Gegenüber dem Rest der Welt mangelt es ihnen beim heutigen Wechselkurs nicht an Wettbewerbsfähigkeit. Nicht sie sind das Problem, sondern Deutschland.

Der Lösung des Problems stehen allerdings nicht nur intellektuelle Hürden im Weg. Die Euro-Währungsunion ist auch grundlegend fehlkonstruiert und in der heutigen Form nicht überlebensfähig. Im Vergleich zu Amerika fehlt ihr in erster Linie eine Fiskalunion, zumindest eine minimalistische Fiskalunion. Die hätte man am besten 1999 errichtet, spätestens aber bei Einbruch der Eurokrise. Stattdessen konzentrierte man sich damals darauf, den »dummen« Pakt noch dümmer zu machen und Europa in eine existenzielle Krise zu treiben.

Heute herrscht viel Euphorie darüber, dass die jüngsten Wahlen in Frankreich nicht im populistischen Albtraum endeten. Diese Euphorie ist aber mit der Erwartung und allgemeinem Druck auf Frankreich verbunden, endlich den vermeintlich so erfolgreichen deutschen Weg der »Flexibilisierung« der Arbeitsmärkte einzuschlagen, um Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Wir warnen vor der implizierten asymmetrischen Anpassung und internen Abwertung Frankreichs. Der Druck auf Italien und Spanien, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, würde entsprechend steigen, eine Lawine interner Abwertungen würde losgetreten – ein kollektiver Versuch aller Länder, gleichzeitig ihre Wettbewerbsposition zu verbessern, also das Äquivalent eines Abwertungswettlaufs innerhalb einer Währungsunion. Die Eurozone würde dem so erzeugten deflationären Schock kaum standhalten können.

Stattdessen gilt es, eine symmetrische Anpassung aller Europartnerländer bei ausgewogener und kräftiger Binnennachfrageentwicklung zu organisieren. Die internationale Situation ist so, dass man zügig sinkende Leistungsbilanzüberschüsse der Eurozone unterstellen sollte, statt auf der Hoffnung permanenter und weiter anschwellender Überschüsse Luftschlösser zu erbauen. Deflation und Stagnation in den Defizitländern dürfen nicht länger toleriert werden. Die interne Anpassung muss bei Einhaltung der vereinbarten Stabilitätsnorm von zwei Prozent stattfinden. Symmetrische Anpassung erfordert eine expansivere deutsche Fiskalpolitik und deutsche Lohn- und Preisinflation, die deutlich über zwei Prozent liegt.

Der gemeinsame Expansionskurs lässt sich über einen Euro-Schatzamt-Plan organisieren, der auf eine Verstärkung und Verstetigung der öffentlichen Investitionen setzt. Die Schulden hierzu werden gemeinsam eingegangen, Investitionszuschüsse und Zinslasten aber gemäß den BIP-Anteilen der Mitgliedsländer aufgeteilt, um eine Transferunion per Design auszuschließen. Sie bleibt eine Aufgabe für die längerfristige Zukunft – es sei denn, Deutschland wird sie durch permanente Lohnunterbietung schon früher erzwingen.

Dies ist kein wirklich radikaler Vorschlag. Er konzentriert sich auf das Mindeste und Dringendste, was es zum Überleben des Euro sicherzustellen gilt. Dies erfordert allerdings eine radikale Abkehr sowohl vom deutschen Neomerkantilismus als auch vom Neoliberalismus, denen der permanente Druck auf die Löhne gemein ist. Im Ergebnis ist beiden auch gemein, dass sie eine Schwächung der Arbeitnehmer und eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen nach oben zu erreichen versuchen. Der Euro dagegen sollte ein Mittel zur Erreichung gemeinsamer Prosperität und Stabilität sein. Bisher hat er für die große Mehrheit der Bürger der Eurozone dieses Versprechen nicht einlösen können. Man wird die Arbeitnehmer und Wähler der Eurozone nicht unendlich lange an der Nase herumführen können. Der unreformierte Euro, konstruiert und gelenkt nach den Prinzipien des Ordo- und Neoliberalismus, bleibt eine tickende Zeitbombe.

Über die Autoren

Heiner FlassbeckHeiner Flassbeck arbeitete von 2000 bis 2012 bei den Vereinten Nationen in Genf und war dort als Chefvolkswirt der UNCTAD zuständig für Globalisierung und Entwicklungspolitik. Zuvor war er Staatssekretär im Bundesministerium für Finanzen. Er ist Gründer von relevante-oekonomik.com. Im Westend Verlag erschien zuletzt "Der begrenzte Planet und die unbegrenzte Wirtschaft" (2020).
Jörg BibowZu diesen Author ist keine Beschreibung hinterlegt.

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