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Mut- und kraftlos: Svenja Schulzes Klimakabinett

Die Klimaziele für 2020 wird Deutschland nicht einhalten: Statt 40 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2020 werden nun 55 Prozent weniger CO2-Emissionen bis 2030 angestrebt. Den Mut und Tatendrang der Schülerinnen und Schüler, die jeden Freitag für ihre Zukunft auf die Straße gehen, sucht man bei der Bundesregierung vergeblich. In ihrem neuen Buch Uns stinkt´s! Was jetzt für eine zweite ökologische Wende zu tun ist analysiert Heike Holdinghausen die Fehlentwicklungen der Vergangenheit und zeigt Möglichkeiten für die notwenige ökologische Wende auf – eine Pflichtlektüre für das neue Klimakabinett von Svenja Schulze!

Jetzt haben wir also ein Klimakabinett in Deutschland. Damit sei der Klimaschutz, freut sich Umweltministerin Svenja Schulze, auf die höchste Ebene gehoben worden. Im Klimakabinett, einer Art Ausschuss unter Vorsitz von Umweltministerin Svenja Schulze von der SPD, sammeln sich alle von Klimaschutz betroffenen MinisterInnen, von Kanzlerin Angela Merkel, Agrarministerin Julia Klöckner, Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Kanzleramtschef Helge Braun über Bauminister Horst Seehofer und Verkehrsminister Andreas Scheuer – allesamt von der Union, bis zum Finanzminister Olaf Scholz von der SPD. Die Aufzählung der Minister mitsamt Parteizugehörigkeit deutet auf das Problem: Alle Fachminister entstammen der Union und sehen sich bislang vor allem als politische Schutzherren ihrer Wirtschaftsbranchen. Auch Olaf Scholz hat für das Thema Klima und Umwelt bislang keinerlei Interesse gezeigt. Schulze ist also in ihrem Engagement für‘s Klima in diesem Kabinett: allein. Zwar hat Agrarministerin Klöckner dem Umweltministerium schon, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, einen Maßnahmenkatalog vorgelegt, mit dem sie die Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft senken will. Doch wenn es hart auf hart kommt, kneift sie. So taucht in diesem Katalog das Thema „Tierhaltung“ nicht auf, obwohl das Übermaß vor allem an Rindern, aber auch an Schweinen, eines der größten Klimaprobleme in der Landwirtschaft  darstellt. Abgesehen davon: Wenn in Deutschland weniger Tiere Futter bräuchten und weniger Gülle produzierten, würde das auch andere Umweltprobleme als das Klima anpacken: die Überdüngung und Grünlandvernichtung etwa. Doch Klöckner ist eben vor allem eines: Das Gesicht der Schweine- und Rinderhalterverbände, der politische Arm des Bauernverbandes – so wie alle Landwirtschaftsminister von Union und SPD vor ihr.  Das zeigt sich deutlich am Schicksal einer kleinen Presseerklärung des Bundesumweltministeriums im vergangenen Jahr. Kurz vor Weihnachten teilte Schulzes Ministerium mit, man müsse doch endlich mal etwas für die Wieder-Vernässung der Moore tun, schließlich seien nur feuchte, intakte Moore effektive Kohlenstoffspeicher. Moore sind für den Klimaschutz ähnlich wichtig wie Wälder. Umgehend antwortete der Bauernverband auf die Mitteilung des BMU; etwas überspitzt und verkürzt zusammengefasst, in etwa so: Wieder-Vernässung ist teurer Unfug und stört die Landwirte. Aus dem Agrarministerium hörte man dazu nichts. Der Moorschutz wurde einfach abgeräumt. Fast noch schlimmer sieht es beim Kabinettskollegen Scheuer aus: Der Verkehrsminister, ein bekennender Oldtimer-Fan, begreift das Vorhaben „mehr Klimaschutz im Verkehr“ nicht als pragmatische Aufgabe, sondern als Kulturkampf. Starke Männer mit schnittigen Maschinen (wie er) gegen miesepetrige Ökos. Als Ökos erscheinen dabei all jene, die begriffen haben, dass es weniger CO2, weniger Feinstaub, weniger Stickstoff und weniger Unfälle nur gibt, wenn mehr Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad umsteigen, und  ihr Auto abschaffen. Dazu sind „Push“ und „Pull“-Faktoren nötig, ein deutlich besseres Angebot an Bussen, Bahnen, Car- und Bikesharing, sichere Fahrradwege und attraktive Bahnhöfe auf der einen Seite. Und eine massive Verteuerung des Autoverkehrs, der fossile Brennstoffe benötigt, auf der anderen Seite. Doch auch zaghafteste Versuche, den automobilen Verkehr  unattraktiver zu machen, wehrt Scheuer mit ganzer Kraft ab. Zuletzt bezeichnete er Vorschläge, in Deutschland ein Tempolimit einzuführen, als Irrsinn und lehnte die Maßnahmen einer von ihm selbst eingesetzten Kommission in Gänze ab. Eigene Vorschläge machte er bislang nicht, ein besonderes Engagement für den öffentlichen Verkehr lässt er ebenfalls vermissen. Es ist zu befürchten, dass Scheuer im Klimakabinett lediglich die Idee präsentiert, man könne ja die Kraftstoffe künftig auf Wasserstoffbasis herstellen und damit klimaneutral machen. Damit hofft er, den Verbrennungsmotor zu retten, auch wenn dieser Technikpfad ineffizient und teuer ist. Bleibt sein Parteikollege Horst Seehofer, von dem ja derzeit erstaunlich wenig die Rede ist. Wer weiß, vielleicht hat der alte Fuchs, der einst schon die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner verdonnerte, der Gentechnik auf deutschen Äckern den Garaus zu machen, als die naturliebenden Bayern gegen Gen-Mais zu Felde zogen, vielleicht hat Seehofer also die heimische Unterschriftenaktion gegen das Artensterben und die Wahlergebnisse der Grünen genauer studiert, und lässt sein Ministerium jetzt Hausaufgaben machen. Vielleicht fällt der Bauabteilung in Sachen Gebäudedämmung oder Recycling-Baustoffe ja doch noch etwas ein, wer weiß.

Was ist also von Svenja Schulzes Klimakabinett zu erwarten? Leider gar nichts. Es leidet unter der alten Misere des Klimaschutzes: Es gibt kein Wissens- oder Technikdefizit. Wir wissen sehr gut über die Problemlagen Bescheid, wir kennen viele Lösungen, die Technologien liegen vor. Was fehlt, sind der Mut und der politische Wille, sie anzuwenden und umzusetzen – und in der derzeitigen schwarz-roten Bundesregierung fehlt sie an allen wichtigen Stellen. Zwar bietet Klimaschutz neue Geschäftsmodelle, neue Möglichkeiten, Wohlstand zu schaffen – in den erneuerbaren Energien, im Dienstleistungsbereich, bei nachwachsenden Rohstoffen. Doch es wird große Umbrüche und auch Verlierer geben, in der Automobilbranche, bei den fossilen Energieerzeugern, in der Lebensmittelindustrie. Die Union, soviel ist in den vergangenen 14 Jahren unter ihrer Regierung klar geworden, nimmt für den Klimaschutz keine Einschnitte in etablierte Wirtschaftsbranchen vor. Umso wichtiger sind die nächsten Wahlen, die anstehen, in den Ländern, vor allem aber in Europa. Wenn etwas die müde Truppe in Berlin antreiben kann, dann ein EU-Parlament mit starken ökologisch orientierten Parteien. Denn es gibt ja nicht nur Technologien und Konzepte für die Klimakrise, es gibt auch Parteien, die sie kennen und umsetzen wollen.  Am 26. Mai geht es also wahrlich ums Ganze.

Heike Holdinghausen

Heike HoldinghausenHeike Holdinghausen ist Redakteurin der taz. Im Ressort Wirtschaft und Umwelt schreibt sie vor allem über Chemikalien-, Abfall- und Rohstoffpolitik. Zuvor betreute sie in der Meinungsredaktion die Kommentarseiten der taz.

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