Mit Lust am echten Genuss erreichen wir mehr als mit Ess- und Denkverboten
Franz Keller hat bei vielen Gesprächen mit seinen Lesern, mit Erzeugern und Medizinern festgestellt: Die Bevölkerung ist bereit für eine Agrar- und Lebensmittelwende, doch die Politik wird in Deutschland und der EU von den starken Lobbyinteressen ausgebremst. In seinem neuen Buch erklärt Keller nun, wie man mit guten Rohstoffen und einfachen Mitteln gesund und lecker kocht. Und zeigt, wie wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückerobern können. Ein Auszug.
Wo ich hier gerade sitze und mir Gedanken über die Zukunft unserer Landwirtschaft mache, höre ich die Meldung, dass die Bundesregierung als Reaktion auf die Bauernproteste ein milliardenschweres Unterstützungsprogramm für die Landwirtschaft beschlossen hat: Die »Bauernmilliarde«, wie CSU-Chef Markus Söder stolz verkündete, mit der den Landwirten geholfen werden soll, mit den Folgen der strengeren Düngeverordnung klarzukommen. Im schönsten Politikersprech ist hier von Kohle für »Agrarumweltprogramme und Investitionen« die Rede, aber in Wahrheit ist dieser Geldregen aus der Subventionskanone ein echter Schuss in den Ofen. Das macht nicht nur mich wirklich wütend. Offensichtlich ohne eine Sekunde nachzudenken, will man jetzt schlicht die protestierenden Bauern mit ihren Traktoren wieder von der Straße runterbekommen und ruhigstellen. Doch die Probleme, um die es eigentlich geht, lassen sich auch mit noch mehr Steuergeld nicht lösen, wenn man es in die falsche Richtung investiert. Statt beispielsweise die Nitratbelastung des Grundwassers an der Wurzel anzugehen, also die Güllemengen durch einen echten System- und Strukturwandel zu reduzieren, werden mit der Bauernmilliarde die unhaltbaren Zustände einfach weiter zementiert. Die Kohle wird nicht dafür eingesetzt, den Umbau der Landwirtschaft nach ökologischen und qualitativen Gesichtspunkten umzubauen, sondern soll den Landwirten dabei helfen, größere Gruben zur Gülleaufbewahrung zu bauen. So kommen wir doch keinen Schritt weiter. Die Landwirte brauchen keine sinnlos verpulverten Milliarden, sondern klare Ansagen und Vorgaben, wie wir uns als Gesellschaft die Produktion unserer Lebensmittel unter den Aspekten Gesundheitsschutz, Tierwohl, Biodiversität und Klimakrise wünschen.
Auch dem fast monopolisierten Lebensmittelhandel in Deutschland muss man mal kräftig auf die Finger hauen und ähnlich klare Ansagen wie in Frankreich machen. Wie wäre es, ähnlich wie beim Mindestlohn, mit einem Mindestpreis für landwirtschaftliche Erzeugerprodukte? Wir müssen Schluss machen mit dem Preisdumping und es muss schlicht verboten werden, Lebensmittel als Lockangebote unterhalb des Einkaufspreises zu verkaufen! Auch müssen lokale und regional erzeugte Produkte geschützt und viel stärker gefördert werden. Doch leider wird, wie das Beispiel »Bauernmilliarde « zeigt, nur ziemlich hirnlos rumlaviert. Die meisten Politiker denken und handeln eben heute schlicht karriereorientiert und da will man am besten niemandem wehtun.
Mal als Gedankenspiel: Wir könnten doch beispielsweise beschließen, dass wir in Deutschland den Ausstieg aus der Massenqualtierhaltung angehen. Dazu könnten doch die teuren Berater und klugen Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium mal einen Plan ausarbeiten. Wie und in welchem Zeitrahmen lässt sich dies konkret umsetzen? Kommen dann wieder alle Rinder zurück auf die Weide? Wie viele Tiere können wir art- und tiergerecht – und das gilt auch für Schweine – angemessen auf diese Weise noch produzieren und wie viel Fleisch müssen wir überhaupt produzieren, wenn wir uns dabei nur auf den heimischen Markt konzentrieren? Was sind genau die Qualitätskriterien, die wir für richtig halten, und wie sehen dann die idealen Betriebsgrößen und Haltebedingungen aus? Das wird mal ordentlich durchgerechnet und dann kostet das Schweinefleisch in geprüfter und zertifizierter Tierwohl- und Bio-Qualität eben nicht mehr 2,40 Euro pro Kilo, sondern 5,80 Euro oder auch mehr. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Preis funktioniert und angenommen wird.
Es wäre doch spannend, auf diese oder ähnliche Weise mal die unterschiedlichen Optionen und Modelle durchzuspielen. Sind diese Ziele dann definiert, können wir loslegen und die rund sechs Milliarden, die jedes Jahr aus Brüssel an unsere Bauern fließen, könnten sinnvoll in diesen Strukturwandel investiert werden. Dann erübrigt sich auch, dass wir viel zu viel produzieren. Was sowieso gut ist, weil wir schon im Interesse unserer eigenen Gesundheit in Zukunft beim Fleischkonsum umschalten sollten – nicht jeden Tag Fleisch, das zudem grundsätzlich zur Beilage wird und nicht mehr Hauptbestandteil einer Mahlzeit ist, aber dafür zu einem echten Genuss wird.
Deutschland ist dann zwar kein Exportweltmeister mehr für Billigfleisch, was ja wirklich auch kein erstrebenswerter Titel ist, aber wir können stattdessen Qualitätsweltmeister werden. Die Exportorientierung unserer Landwirtschaft und Ernährungsindustrie ist in meinen Augen ein Kardinalfehler. Lebensmittel sind eben keine Industrieprodukte, die global gehandelt werden müssen. Mit unserem Billigfleisch machen wir nicht nur die eigene Bevölkerung krank, wir zerstören auch die landwirtschaftlichen Strukturen in vielen anderen Ländern. Unsere Nachbarn in Holland sind da schon einen Schritt weiter. Die machen wegen der hohen Nitratbelastung jetzt ganze Höfe dicht und machen sich Gedanken über eine neue Nutzung, zum Beispiel als Seniorenresidenz. Das ist wenigstens mal eine Idee im Unterschied zur sinnfreien Geldverschwendung hierzulande. Selbst von den Bauern kommt Kritik an dieser Bauernmilliarde, nur unsere Politker hören nicht zu oder haben Angst vor der nächsten Wahl.