Manipulieren durch Sprachregelungen
Manipulationen sind nicht nur üblich, um Menschen zu schaden und eine Gesellschaft zu beschädigen. Manipuliert wird zuweilen auch im Interesse einer guten Sache. In seinem Buch „Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst“ beschreibt Albrecht Müller verschiedene Fälle der Meinungsmache und dafür entworfene Strategien – zum Beispiel Sprachregelungen. Ein Auszug.
Einige Zeit lang war ich unter den Kanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt. Montags bis freitags trafen wir uns am frühen Morgen unter Vorsitz des Chefs des Bundeskanzleramtes in einem kleinen Sitzungssaal des Kanzlerflügels zur morgendlichen Lagebesprechung. Mit dabei außer den sechs Abteilungsleitern war der Regierungssprecher, damals die meiste Zeit Klaus Bölling, und der Redenschreiber des Bundeskanzlers. In dieser Runde wurde auch darüber beraten, was der Regierungssprecher bei der Bundespressekonferenz wie auch in Hintergrundgesprächen sagen sollte. Das war und ist bis heute ein Ort der Sprachregelung. Man kann das Ergebnis solcher Beratungen heute bei der Bundespressekonferenz mit Regierungssprecher Steffen Seibert beobachten.
Sprachregelungen werden auf vielen Ebenen getroffen und koordiniert. Deutlich erkennbar geschieht das bei der NATO, bei der Europäischen Kommission und beim Europäischen Rat oder in Gremien wie der »Atlantikbrücke«, bei der Münchner Sicherheitskonferenz und selbstverständlich in Washington. Der Westen insgesamt ist ein Ausbund an Sprachregelung. Nur so kann sich die Botschaft halten, wir im Westen seien die Guten. Wir seien die Demokraten. Bei uns gelten die Menschenrechte.
Alle diese Sprachregelungen werden stark davon gestützt, dass wir es heute mit einer ziemlich vereinheitlichten Medienlandschaft zu tun haben. Die Eigentümer und Chefredaktionen der großen Medien, von „Tagesschau“ bis „Bild-Zeitung“, sind vermutlich die effizientesten Arrangeure der zu vermittelnden und zu wiederholenden Botschaften.
Ein paar dieser Sprachregelungen sollen hier gelistet werden, innenpolitische wie auch außenpolitische: Es geht uns gut. Die Löhne sind zu hoch. Die Lohnnebenkosten sind auch zu hoch. Der Arbeitsmarkt ist zu unflexibel. Das hat uns Arbeitslosigkeit gebracht. Wir brauchen Reformen. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr. Jetzt ist Digitalisierung angesagt. Und so weiter.
Auch in der außenpolitischen und sicherheitspolitischen Debatte herrschen Sprachregelungen. Wir nennen Regierungen, die uns nicht passen, »Regime« oder »Diktaturen«. Wir sprechen vom Mullah-Regime und vom Schlächter Assad. Wir sprechen hingegen nicht vom Schlächter Mohammed bin Salman al-Saud, wenn wir den Kronprinzen von Saudi-Arabien meinen. Obwohl Saudi-Arabien und andere Staaten des Mittleren Ostens mit ihren Völkern und mit Nachbarn wie etwa dem Jemen mindestens so schlimm umgehen, wie der Präsident in Syrien das angeblich tut, nennen wir diese dann besser nicht Diktatoren und nicht Schlächter. So, nämlich Schlächter, könnten wir eigentlich auch Hillary Clinton wegen ihrer Rolle bei der Zerstörung staatlicher Strukturen in Libyen nennen oder Obama, der mit dem Drohneneinsatz, über Ramstein gesteuert, schon ganze Großfamilien hat hinschlachten lassen. Da fehlt es offenbar an der entsprechenden Sprachregelung. Der Stoßseufzer »Aber der Putin« zum Abschluss von Diskussionen über die neue Konfrontation zwischen West und Ost ist auch ein Beispiel für eine besonders gelungene Sprachregelung. Wir sind umstellt davon.
Achten Sie einfach auf wiederkehrende Formeln und glauben Sie dann nichts, nicht nur wenig, nichts!