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Lob der Müdigkeit

Gunter Böhnke hat sein Leben wie im Schlaf verbracht, denn er leidet an Narkolepsie. Er schläft auf dem Motorrad ein, wird im Tiefschlaf aus einer Klamm in der Sächsischen Schweiz geborgen, hat die Hälfte der Schulzeit verpennt und die meisten Vorlesungen an der Uni verschlafen. Doch diese Schlafkrankheit hat ihn nicht davon abgehalten, eine traumhafte Karriere als Kabarettist, Autor und Übersetzter hinzulegen. Mit „Das mach ich doch im Schlaf!“ hat Gunter Böhnke nun seine Autobiografie vorgelegt. Ein Auszug.

Ich bin aber heute wieder müde! – Kennen Sie das auch: Kaum erwacht und schon so müde! Von wegen – Morgenstund hat Gold im Mund. Ich habe Amalgam im Mund und morgens immer so eine pelzige Zunge vom Rotwein.

Also am liebsten schlafe ich und träume, dass ich schlafe und träume. Dabei bin ich gar kein Träumer. Ich bin eben nur immer so schrecklich müde. Also immer nicht. Morgens nach dem Aufstehen, beim Zähneputzen bin ich eigentlich putzmunter. Doch dann, nach dem Rasieren, bin ich schon wieder sehr müde.

Aber ich kann nichts dafür. Ich bin als Kind auf den Kopf gefallen. Ja, bei einem Sturz vom Fahrrad. Das Rad hat sozusagen mein ganzes Leben bestimmt. Ich konnte bei einem Streit in der Schule niemals das Argument gebrauchen: Du denkst wohl, du kannst mich verarschen? Ich bin ja schließlich nicht auf den Kopf gefallen!

O doch! Und wer genauer hinsah, konnte es sogar sehen. Rechts oben an der Stirn hatte ich eine kleine »Delle«, und das rechte Ohr war immer etwas zerknautscht. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass ich den Kopf immer auf die rechte Seite drehte, wenn ich ihn während des Unterrichts auf der Schulbank ablegte.

Die Schulzeit habe ich eigentlich weitgehend verpennt. Die Lehrer*innen warfen päckchenweise Kreide nach mir – ohne jeden Erfolg. Aber irgendwie habe ich das Klassenziel doch immer geschafft. Wahrscheinlich bin ich im entscheidenden Moment dann doch aufgewacht. Jedenfalls behauptete das immer meine Frau. Mein Gott, ich sage »meine Frau«, und dabei weiß ich gar nicht, ob sie wirklich meine Frau ist. Da ich bei der Trauung ja kurz eingenickt war.

Auf jeden Fall haben wir zwei putzmuntere Kinder. Das merkte ich vor allem, wenn ich müde von der Arbeit nach Hause kam und mich zur Ruhe setzen wollte. Das kam gar nicht in Frage. Jetzt mussten Märchen vorgelesen werden. Dornröschen hat es ja nur meinen Kindern zu verdanken, dass sie doch wachgeküsst wurde. Denn ich war mit dem Hofstaat schon längst entschlummert.

Bei der Leitungssitzung im Betrieb habe ich stets mit offenen Augen geschlafen, und wenn mein Kopf »wegnickte«, dachte der Chef: »Aha, der Kollege stimmt mir freudig zu.« Damit war ich für eine politische Laufbahn prädestiniert. Ich wurde bei Parteiversammlungen nur zur Abstimmung geweckt und als Jasager hoch gehandelt. Ich habe mich – wie man im Politjargon sagt – hochgeschlafen. Und die verschlafenen Jahre werden mir sogar angerechnet. Beim Übergangsgeld und bei der Rente. Ja, ich habe einen tiefen Schlaf. Und je tiefer der Schlaf, desto höher der Posten.

Nun, ich will ja kein Minister werden. Weder im Innern noch in der Landwirtschaft. Minister bedeutete ursprünglich einmal Diener. Das war offenbar vor langer Zeit. Heute dient der Minister nicht mehr. Er verdient. Meist ziemlich viel Geld, manchmal Anerkennung, selten Verachtung. Gemacht wird der Minister vom Bundeskanzler. Oder die Ministerin von der Bundeskanzlerin. Die sind natürlich auch nicht zu beneiden. Sie müssen einen Diener machen, der nicht dient. Ich verstehe ihn. Schon als kleiner Junge habe ich das gehasst: Einen Diener zu machen.

Hier handelt es sich wohl eher um eine Traumsequenz.

Gunter Böhnke

Gunter BöhnkeGunter Böhnke wurde 1943 in Dresden geboren und studierte Germanistik, Anglistik sowie Pädagogik an der Universität Leipzig. Dort war er 1966 Mitbegründer des legendären Kabaretts „academixer“. Bis 1970 arbeitete er als Bildredakteur bei der ADN-Zentralbild sowie freiberuflich als Englischlehrer an der Humboldt-Universität. Als Übersetzer bearbeitete er Werke von u.a. Edgar Allan Poe und H. G. Wells. 1971 bis 1978 war er Fremdsprachenlektor und Lektoratsleiter beim Verlag Edition. Anschließend wurde er Berufskabarettist und machte sich 1988 gemeinsam mit Bernd-Lutz Lange als Duo selbstständig. Sie verteilten für die ARD dreizehnmal Nachschlag, zelebrierten für den MDR Den Sachsen von Kopf bis Fuß und traten bis 2004 zusammen auf diversen Kabarettbühnen in Deutschland auf. Von ihm erschienen unter anderem die Bücher Mit dem Floß unters Eis (2002) sowie Ein Sachse beschnarcht die Welt (1998).

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