Krieg als inszeniertes Medienereignis
Erschreckend, faszinierend, hochaktuell und historisch – der internationale Bestseller „American Hero“ liegt jetzt endlich zum ersten Mal mit einem weiteren Vorwort und allen Ergänzungen des Autors in deutscher Fassung vor. Das Buch ist eine beinhart erzählte Realsatire aus der Küche des „großen Satans“: Es ist die Zeit von George Bush senior, der um jeden Preis wiedergewählt werden will. Sein Berater Lee Atwater, exzellenter Stratege und Machtmensch, entwickelt noch auf dem Sterbebett einen Notfallplan, der die Wiederwahl garantieren soll: die Inszenierung eines Kriegs auf Hollywood-Niveau, ein Krieg als Medienereignis, ein Medienrauschen, das wie ein zäher Brei alle Wahrheiten erstickt. Unter dem Titel „Wag the Dog“ wurde das Buch kongenial mit Dustin Hoffmann, Robert de Niro und Woody Harrelson 1997 verfilmt. Ein absoluter Lesetipp in Zeiten von Trump, Fake-News und Propaganda – hier das Vorwort von Larry Beinhart für die neue Ausgabe.
Die Wahrheit zu sagen ist harte Arbeit. Und wird schlecht bezahlt. Und oft will sie niemand wissen.
Sich Geschichten auszudenken macht großen Spaß, Geschichten zu erzählen, vergnügt die Wirklichkeit zu zerdeppern und aus den Scherben Geschichten zu basteln, die besser sind als die Wirklichkeit, auch. Mit so was kann man Geld verdienen. Nicht nur für sich. So was hilft auch, die Geschichten zu präsentieren und zu verkaufen.
„Wag the Dog“, ursprünglich „American Hero“, war eine erfundene Geschichte über die erfundene Geschichte, mit der der erste Golfkrieg präsentiert und verkauft wurde. Rückblickend werden zwei Dinge immer deutlicher.
Einerseits wurde die Sache außergewöhnlich gut umgesetzt. Ein Land war überfallen und besetzt worden. Das war ein klarer Verstoß gegen das Völkerrecht, und so der Auslöser für einen legalen Krieg – vom Weltsicherheitsrat bestätigt –, um die Unverletzlichkeit nationaler Grenzen deutlich zu machen. Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verjagten die irakischen Streitkräfte aus Kuwait. Bis zu diesem Punkt bewegte man sich im rechtlich abgesicherten Rahmen. Die Ordnung wurde wiederhergestellt. Die Kampfhandlungen ruhten.
Der Krieg wurde präsentiert (und darum geht es in diesem Buch) als „Der Zweite Weltkrieg – Zwei – Die Miniserie“. Mit Saddam Hussein als Hitler. Die Geschichte implizierte logischerweise, dass sie mit Saddams Tod enden sollte, sein Land war befreit und zu einer den Westen liebenden Demokratie geworden. Allerdings war die einzige nennenswerte Kritik an dem Krieg die, dass er nicht genauso endete wie die Erzählung. Der tatsächliche Erfolg des realen Krieges wurde nicht einfach nur vergessen; es war, als hätte es ihn nie gegeben.
Dann kam der Film „Wag the Dog“, an die Clinton-Ära entsprechend angepasst. Bei allen Unterschieden zeigten beide, Buch wie Film, wie Wahrheit manipuliert wird. Besser machte das gar nichts.
Als dann der Zweite Golfkrieg kam, waren die Lügner noch dreister. Die Hüter der staatlichen Ordnung waren zu Dienstpersonal mutiert. Das Publikum war leichtgläubiger geworden.
Die Wirklichkeit schlug zurück. Die Vorstellungen davon, wie die Sache auszugehen hatte, führten zum Zusammenbruch und den Bürgerkriegen im Irak, dem Aufstieg des Islamischen Staats, den syrischen Bürgerkriegen und dem endlosen Krieg in Afghanistan. Aus der Phantasie-Wirtschaft entstanden die Weltfinanzkrise von 2008 und die Große Rezession.
Wir – die wunderbare Öffentlichkeit – waren aufgewacht. Wir konnten mit Recht erwarten, dass dasselbe für die Hüter der staatlichen Ordnung gilt. An dieser Stelle möchte ich eine Anekdote erzählen.
Vor etwa zehn Jahren war ich zu einem Dinner eingeladen. Dort geriet ich mit einem angenehmen Menschen, den ich kennenlernte, als wir beide in der Küche aushalfen, in eine recht heftige, aber freundliche, politische Diskussion. Später raunte mir jemand zu, dass er ein namhafter Richter an einem Bundesgericht sei. Er sagte: »Sie sind bestimmt einer von den Leuten, die meinen, John Yoo dürfe nicht an der Universität Berkeley lehren.«
Hier möchte ich Ihnen „Das Urteil von Nürnberg“ (1961) ans Herz legen, einen bis heute großartigen Film über die Kriegsverbrecherprozesse. Er ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, weil die dort Angeklagten nicht zur obersten Führungsebene gehörten, keine Leute wie Adolf Eichmann und auch nicht an Massenhinrichtungen beteiligt. Es waren Richter. Hoch angesehene Menschen, die das geltende Recht ihres Landes anwendeten.
Yoo gehörte von 2001–2003 dem Justizministerium unter George W. Bush an. Während dieser Zeit verfasste er Memoranden, mit denen die Anwendung von Folter gerechtfertigt wurde. Folter ist ein Kriegsverbrechen. Er vertrat die Theorie, dass der Präsident in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Streitkräfte über den Gesetzen, Verträgen, ja sogar über den ihm durch die Verfassung gesetzten Grenzen steht. Folglich stünde jeder, der seine Befehle ausführt, ebenfalls über dem Recht. Damit war »Ich habe nur Befehle ausgeführt« wieder als gültige Rechtfertigung installiert. Was gleichzeitig die Nürnberger Prinzipien zunichtemacht. Yoo plädierte dafür, den Grundsatz »Vor dem Gesetz sind alle gleich« durch ein dreistufiges System zu ersetzen: der Präsident und seine Apparatschiks an der Spitze; wir, die breite, ihnen unterworfene Masse und schließlich, ganz unten, diejenigen, die nach Guantanamo, Abu Ghraib und in verschiedene Black Sites geschickt werden.
Meine Antwort an meinen neuen Freund, den Richter, lautete: »Nein. Ich denke, dass Yoo lehren soll« – ich halte sehr viel von Redefreiheit – »aber ich denke ebenfalls, er sollte wegen Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden.« Was natürlich nie geschah.
Ende September 2018 las ich in der „New York Times“ einen Gastkommentar: Hütet euch vor einem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump. Das könnte dem Amt des Präsidenten Schaden zufügen. Verfasser war John Yoo. Ausgewiesen wurde er als »Jura-Professor an der University of California, Berkeley, Gastdozent am American Enterprise Institute und Gaststipendiat an der Hoover Institution.« Dass er nach den Grundsätzen der Nürnberger Prozesse wegen Kriegsverbrechen hätte verurteilt werden müssen, blieb ebenso unerwähnt, wie dass er der Verfasser der Folter-Memos war.
Das meine ich, wenn ich vom Versagen der Hüter der staatlichen Ordnung spreche.
Es ist kein Geheimnis, dass diese Hüter uns im Stich gelassen haben. Dass die „New York Times“ geholfen hat, uns den Zweiten Golfkrieg zu verkaufen. Dass keiner, der uns in Bushs Kriege gelockt beziehungsweise diese geführt hat, für ihre Fehler und das ungeheure Leid büßen musste, das sie verursacht haben. Dass buchstäblich niemand an der Wall Street für die Betrügereien und Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurde, die uns die Katastrophe von 2008 beschert haben. Dass niemand belangt wird, wenn Wells Fargo tausendfach betrügt. Selbst wenn es immer wieder passiert. Dass die Wirtschaftswissenschaften versagt haben, und wir nun eine Austeritätspolitik in Großbritannien erleben, die Banken retten und auf die Menschen in Griechenland einen Scheiß geben; den Schwachsinn der Reaganomics-Trickle-down-Theorie verbunden mit dumpfbackigem Trump-Geheul, während die Ungleichheit in den USA immer größer wird.
Wir leben in einer Welt mit zu wenig Wahrheit und zu vieler institutionalisierter Lügen.
Das wiederum hat den Weg bereitet für Donald Trump, Boris Johnson, Viktor Orban und ihresgleichen. Wenn sie lügen, an wen wenden sich die Menschen, wenn sie Wahrheit wollen?
Der große Feind der Lügen ist die Wirklichkeit. Sie schlägt zu, sie beißt, sie bricht aus, sie vernichtet. Sie ist leider der schmerzhafteste Weg, zur Wahrheit vorzustoßen. Können wir Hüter finden, die uns zur Wahrheit führen, bevor es weh tut? Bis dahin hat dieses Buch eine Menge Spaß zu bieten.