Kochen ist Politik!
Kochen ohne Grenzen – statt Kitchen Battle setzt David Höner mit seiner Hilfsorganisation „Cuisine sans frontières“ auf gelebte Küchendiplomatie und entwickelt dabei weltweit Rezepte für den Frieden, von Tschernobyl bis zum Kongo. Seit vielen Jahren reist der Koch und Autor David Höner durch die Krisenregionen der Welt, um Menschen beim Kochen und Essen zusammenzubringen. Die Grundidee: mit Essen und Trinken die Welt zu verändern, bei Tischgesprächen Konflikte zu lösen, beim Teilen von Brot und Suppe Frieden zu stiften. So wurde er mit seiner Hilfsorganisation „Cuisine sans frontières“ zu einem kulinarischen Grenzgänger, der Verbindungen schafft. Ein Auszug aus seinem neuen Buch.
In der Morgendämmerung erwacht der Dschungel mit Tausenden von Stimmen. Ein in die Tiefe gestaffelter Geräuschteppich, das Schreien von Affen weit weg, ganz nah das Sirren und Brummen der Insekten, melodische Vogelstimmen begrüßen den Tag. Santiago hat mit unserem Geld eingekauft. Geschenke für die Frau, Reis, Öl, Waschpulver, Salz, Gummistiefel. Auch wir tragen Gummistiefel, viel Gepäck haben wir nicht: die Kamera, etwas Trinkwasser und Schreibzeug. Das Kanu ist nur etwa vier Meter lang, schmale Balken, um sich hinzusetzen. In den morgendlich dunklen Regenwald gleiten wir auf einem kleinen Nebenfluss. Mit tuckerndem Außenbordmotor. Die Fahrrinne ist eng, man duckt sich unter gestürzten Bäumen, weicht hin und her zwischen herabhängenden Ästen. Wo sich das Wasser weitet, weitet es sich zum Sumpf. Nach einer halben Stunde habe ich keine Orientierung mehr. Niemand spricht. Iris und ich tauschen Blicke. Es ist gut, nicht allein zu sein. Es wird wärmer, die Uferböschung dampft, Sonnenstrahlen zeichnen Streifen in die von Myriaden von Insekten bevölkerte Luft. Niemand spricht. Nach geschätzten anderthalb Stunden sind wir am Ziel. Santiago befestigt das Kanu an einer Anlegestelle, die nur durch ein paar in den Lehm gehauene Stufen in der hohen Uferböschung zu erkennen ist. Er steigt aus dem schwankenden Kanu, nimmt den Sack mit den Mitbringseln und steigt die Stufen hinauf. Er will schauen, ob jemand da ist, bevor er uns ruft.
Das Haus, in dem Miriam und ihre Kinder wohnen, ist nicht klein. Aus Baumstämmen und Bambus erbaut, steht es auf hohen Pfählen am Rand eines gerodeten, unbefestigten Hofes. Unter dem Haus kratzen ein paar Hühner in Küchenabfall und vor allem im Staub, liegen leere blaue Plastikfässer und allerlei landwirtschaftliches Werkzeug, Hacken, Spaten, Rechen. Dort sind auch zwei Esel angebunden, sie stehen schläfrig im Schatten. Die Besitzerin der Finca empfängt uns auf der Veranda. Sie trägt ein wenige Monate altes Baby in einem Schultertuch. Neben ihr der älteste Sohn im verwaschenen löchrigen T-Shirt, gerade mal 16 Jahre alt, doch mit dem Gesicht eines erwachsenen Mannes: Javier. Im Hintergrund wuseln im Halbdunkel zwei scheue Mädchen herum, auch ein Mann sitzt da. »Mein Bruder«, sagt Miriam. Er ist einarmig, begrüßt uns nicht. Fremden kann man nicht trauen.
Die Hausherrin schickt uns mit dem Sohn hinaus ins Feld. Dorthin, wo vor drei Monaten Flugzeuge eine Welkschneise in den Dschungel gespritzt haben. Braune, verfaulte Pflanzen, die nur teilweise als Cocasträucher auszumachen sind, über die Länge und Breite von zwei Fußballfeldern. Gerade noch erkennbar sind auch zwei verrottete Maisfelder, tote Yucca- und Bananenstauden. Hohe entlaubte Dschungelbäume säumen das besprühte Gebiet. Es riecht muffig, nach feuchtem Moder, brackigen Pfützen. Moskitos gibt es keine. Weggesprüht.
Sie hätten nicht so viel Land, die Lebensmittel seien nur zum eigenen Gebrauch angepflanzt worden. Das Coca, er zuckt mit den Achseln, das Coca zum Verkauf. Er zeigt uns ein Treibhausbeet am Rande des zerstörten Bodens. Dort sprießen bereits wieder Schößlinge des Cocastrauchs. In diesem Boden wachse nichts mehr – außer der zähen Drogenpflanze. Ich frage mich, ob der Konsument in Europa weiß, was er sich da für ein Gift in die Nase zieht. Von Bio-Kokain keine Rede. Man habe jetzt neue Flächen im Dschungel gerodet, neue Bananen und Yucca eingepflanzt. Die Gewächse aber würden kränkeln und der Mais eingehen, bevor er wadenhoch gewachsen sei. Ob er wisse, was man da gesprüht habe, fragen wir Javier. Nein, er weiß es nicht. Ob hier nun die klebrige Mischung von Glyphosaten, die unter dem Namen »Roundup Ultra« vom Militär verwendet wird oder ob der als Biowaffe geächtete Welkpilz »Agent Green« eingesetzt wurde, ist unbekannt. »Agent Green« nachzuweisen, ist kompliziert, das geht nur in teuren Labors. Umweltaktivisten bekommen dort keinen Rabatt.
Jetzt stapfen wir über schwer begehbaren, holprigen oder sumpfigen Boden, mitten durch ein unzerstörtes Cocafeld, das bereits zum Teil abgeerntet ist. Die schlanken Stauden treiben fleißig neue Sprossen. »Davon leben wir«, meint Javier. Er weiß, was wir wissen wollen. Als er mit uns über schlammige schmale Fußwege zurück zum Haus geht, erklärt er den Ablauf: »Ich und meine Schwestern zupfen die Blätter ab und bringen sie auf den Hof. Dann legen wir sie auf Tüchern in die Sonne. Die Blätter müssen angetrocknet sein, um in unserer Werkstatt verarbeitet zu werden. Die zerhackten Cocablätter werden mit Zement vermischt und mit Schwefelsäure und Benzin verkocht. So entsteht die Paste, die ich, wie früher mein Vater, auf den fünf Stunden entfernten Markt bringe. Dort verkaufe ich es an die Ankäufer.« Er weiß natürlich, dass das alles illegal und gefährlich ist. Trotz klingt aus seiner Stimme: »Wenn ich beide Esel mit getrocknetem Mais beladen würde, den ich gar nicht habe, weil wir selbst etwas zu essen brauchen, verdienen wir kein Zehntel dessen, was uns ein Kilo Cocapaste bringt. So kann ich auf dem Esel sitzen und bin am gleichen Tag wieder zurück. Wir sind arm. Keiner will uns unsere Arbeit bezahlen.«