Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?
Die Deutsche Bank ist mal wieder in den Schlagzeilen. Beim aktuellen Stresstest schnitt sie extrem schlecht ab. Dazu passt, dass die Deutsche Bank erst kürzlich vom hochmögenden IWF hoch offiziell als „die riskanteste Bank der Welt“ bezeichnet wurde. Wir fragen uns zusammen mit Wolfgang Hetzer: „Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?“
»Gewohnheitsverbrecher« oder »Triebtäter« waren bislang keine Begriffe, die Assoziationen mit dem Beruf des Bankers ausgelöst haben. Im Gegenteil: Der fast schon sprichwörtliche »Bankbeamte hinter dem Schalter« war zumindest in Deutschland über viele Jahrzehnte der Inbegriff der Genauigkeit, der Kompetenz und der Vertrauenswürdigkeit. Und wer konnte seriöser sein als der »Bankdirektor«, der uns alle, Sparer und Unternehmer, fast schon fürsorglich durch alle Lebenslagen begleitet hat? Heute zählt der Berufsstand der »Banker«, der mit dem »Bankier« alter Art schon lange nichts mehr gemein hat, zu denjenigen, denen – völlig zu Recht – größtes Misstrauen, wenn nicht Verachtung entgegenschlägt. Das liegt nicht daran, dass sich alle Banker in Gewohnheitsverbrecher oder Triebtäter verwandelt hätten. Die ganz überwiegende Anzahl der in der Finanzbranche Beschäftigten ist hochqualifiziert und rechtstreu – aber keineswegs alle.
Eine Reihe von ehemaligen und aktiven renommierten Finanzexperten, die über große Erfahrung im internationalen Bankwesen verfügen (»Group of Thirty«, G30), haben sich in einem im Juli 2015 veröffentlichten umfangreichen Bericht mit dem Verhalten in der Bankenwelt in jüngerer Zeit und mit dem Begriff der »Kultur« auseinandergesetzt. Ihre wichtigste Erkenntnis steht ganz am Anfang: Banken und das Bankgeschäft beruhen auf Vertrauen. Sie wissen, dass man Jahre braucht, um es aufzubauen, dass es aber innerhalb eines Moments verloren gehen kann, wenn Fehler und Versagen auftreten, die auf mangelhafte Ethik, Werte und Verhaltensweisen zurückzuführen sind.
Die Ereignisse vor Ausbruch der Finanzkrise haben eine Vielzahl solcher kultureller Fehlleistungen enthüllt. In großen Banken haben sich regelrechte »Subkulturen« gebildet, die für einen weitverbreiteten Reputationsschaden und den Verlust öffentlichen Vertrauens verantwortlich sind. Mittlerweile ahnt man, welche wirtschaftlichen Kosten damit verbunden sind. Es wird aber noch einige Zeit vergehen, bis man wirklich weiß, wie gigantisch hoch der eingetretene Schaden tatsächlich ist. Er wird jedenfalls von der Allgemeinheit zu tragen sein, in manchen Fällen direkt und in anderen durch die Beeinträchtigung der Fähigkeit der Banken zur Kreditgewährung. Banken spielen bekanntlich gleichwohl überall auf der Welt eine entscheidende wirtschaftliche Rolle, weil sie Wachstum, Beschäftigung und unser aller Wohlstand in der Zukunft unterstützen (sollen). Die Mitglieder der G30 bescheinigen ihren Kollegen zwar, dass sie schon erhebliche Anstrengungen unternommen haben, um Führung und Verhalten zu ändern, sie erkennen aber auch, dass es noch wichtige Lücken bei der Verwirklichung gibt. Es bestehe auch die Notwendigkeit, diese Bemühungen fortzusetzen und zu verstärken, um nachhaltig wirksame Ergebnisse zu erzielen.
Der G30-Bericht macht unmissverständlich klar, dass Kulturdefizite durch fragwürdiges Benehmen bei Teilen des Personals und kriminelles Vorgehen in bestimmten Fällen verstärkt wurden. Darunter leide die Gesellschaft nicht nur wirtschaftlich. Die ganze Öffentlichkeit sei »verletzt« worden. Die Mitglieder des höheren Managements und der Aufsichtsgremien seien dadurch auch von der Erfüllung ihrer eigentlichen Pflichten abgehalten worden. Im Hinblick auf Kundenvertrauen, Ansehen und wirtschaftlichen Erfolg befinde sich das Bankgeschäft nach dem Urteil der Verfasser des Berichts im Jahre 2015 auf einem Tiefpunkt. Sie halten die Wiederherstellung des Vertrauens für einen ökonomischen Imperativ und erklären dies für unverzichtbar, um ein sicheres und effektives Finanzsystem zu betreiben. Die Banken sollten sich daran erinnern, dass der Dienst am Kunden höchste Priorität habe, damit diese ihre finanziellen Ziele erreichen könnten. Banken hätten auch den Gesellschaften und den Wirtschaftsordnungen zu dienen, in denen sie operieren.
Der G30-Bericht enthält eine Reihe von Empfehlungen im Hinblick auf die Änderung der kulturellen Grundlagen des Bankgeschäfts. Sie sind schon wegen ihres grundsätzlichen Charakters und ihrer politisierenden Abstraktionen kein Gegenstand der Analysen dieses Buches, das sich nicht mit der wenig hilfreichen These beschäftigen soll, dass alles gut wird, wenn es alle gut machen. Die Vorstellung, dass ausgerechnet die Bankergeneration, die eine wichtige Rolle beim Zustandekommen der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der neueren Weltgeschichte gespielt hat, mit solchen »Weisheiten« zu beeindrucken wäre, siedelt im Grenzbereich von Naivität und Dummheit.
Das kaum noch erträgliche Gerede vom »Kulturwandel « unter ehemaligen und aktiven Führungsfiguren der Deutschen Bank repräsentiert indessen einen besonders beeindruckenden Gipfelpunkt der Heilkunst, weil doch allgemein bekannt ist, dass weiße Salbe nicht dadurch wirksamer wird, dass man sie nicht zweimal, sondern dreimal am Tag aufträgt. Aber gelegentlich lindert sich die (selbst-)therapeutische Verwirrung durch manche Pressemeldung dann doch:
»In Großbritannien ist der erste Banker wegen Manipulationen des Libor-Zinses für schuldig gesprochen worden. Eine Geschworenen-Jury verurteilte den einstigen Star-Händler Tom Hayes zu 14 Jahren Haft. Er sei in acht Fällen an einer Verschwörung zum Betrug beteiligt gewesen. Was dieser Fall gezeigt hat, ist die Abwesenheit jener Integrität, die das Bankwesen charakterisieren sollte‹, sagte Richter Jeremy Cooke bei der Urteilsverkündung. Der Libor ist der Zinssatz, zu dem sich Banken in London untereinander Geld leihen. Er dient zudem vielen Banken weltweit als Referenz, wenn sie die Zinsen für ihre Kunden festlegen. Mehrere Großbanken hatten den Libor jahrelang zu ihrem Vorteil manipuliert, der Skandal war 2012 bekannt geworden. (…) Hayes hatte auf nicht schuldig plädiert. (…) Seine Verteidigung argumentierte, Hayes Vorgesetzte hätten von den Manipulationen gewusst, das gesamte System sei unlauter gewesen. Die Anklage dagegen machte Gier als Tatmotiv aus und erklärte, Hayes sei für seine missliche Lage selbst verantwortlich.«
Die Deutsche Bank wäre natürlich nicht zu kritisieren, wenn sie in ernsthafter und erfolgversprechender Weise einen »Kulturwandel« initiiert hätte. Es könnte allerdings auch etwas motivierend wirken, wenn der eine oder andere leitende Angestellte dieses Geldhauses ebenso wie Mr. Hayes zur Verantwortung gezogen würde. Das ist bis dato jedoch nicht absehbar, ändert aber auch nichts daran, dass die Deutsche Bank insgesamt für die Beteiligung etlicher der bei ihr beschäftigten Händler an den Manipulationen wichtiger Referenzzinssätze durch Sanktionen, die insgesamt schon jetzt weit über eine Milliarde Euro hinausreichen, zur Ader gelassen wurde.
Das genügt nicht. Wie bei jeder Bank dürften sich zwar auch bei der Deutschen Bank Lerneffekte zumeist über das Geld (Gewinn und Verlust) einstellen. Davon scheint die Deutsche Bank – trotz wechselhafter Nachrichten über ihre Kapitalausstattung und ihre Geschäftserfolge – aber immer noch genug zu haben. Betrachtet man die Gesamthöhe der bisherigen Sanktionen, Vergleiche, et cetera, die sich bereits jetzt nach den letzten Jahren in einer Höhe von zirka zehn Milliarden Euro bewegen, dann mag man darüber fantasieren, in welcher Höhe sich die inkriminierbaren Geschäfte bewegt haben müssen, deren Verlauf und Ergebnis doch nur in vergleichsweise winziger Höhe (Straf-)Zahlungen nach sich gezogen haben, die durch Aufsichtsbehörden und Gerichte verfügt wurden oder auf die man sich im Vergleichswege geeinigt hat.
Die Deutsche Bank ist nicht nur in ihrem Selbstverständnis eine Bank. Die allermeisten ihrer Mitarbeiter können und sollen stolz darauf sein, dass sie in der größten deutschen Bank gute Arbeit leisten. Sie dürften nicht zuletzt deshalb ein ureigenes Interesse daran haben, dass die Kollegen, die aus ihrer beruflichen Heimat partiell ein Geldbordell gemacht haben, zur Verantwortung gezogen werden. Aber es wird nicht genügen, ein paar »schwarze Schafe« zu identifizieren und sich ihrer als »Bauernopfer« zu entledigen.
In den vergangen Jahren haben die Führungen der Deutschen Bank ein Strafbedürfnis geschaffen, das die gesamte Institution erfasst. In Deutschland wird dieses Bedürfnis in absehbarer Zeit nicht zu befriedigen sein, weil dort im Hinblick auf die Unternehmensstrafe – von einer einzigen Initiative aus Nordrhein-Westfalen abgesehen – das rechtspolitische Mittelalter, vielleicht auch die Steinzeit, noch nicht beendet ist. Das ist nicht länger hinnehmbar, weil besonders das Verhalten der Deutschen Bank in den letzten Jahren die Frage aufgeworfen hat, ob die größte deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung geworden ist oder sich in ein gemeingefährliches Hochleistungszentrum verwandelt hat, in dem eine deliktische Kultur herrscht, die jeder bekannten Mafia-Organisation nicht zuletzt wegen ihrer Schadensträchtigkeit haushoch überlegen ist.
Die Titelfrage dieses Buchs wurde bereits zu Beginn des Jahrs 2014 in einem Beitrag für die Zeitschrift Die Kriminalpolizei gestellt. An ihrer Dringlichkeit hat sich nichts geändert – die damaligen Feststellungen gelten fort und verdienen daher eine Erinnerung. Schlimmer noch: Es hat sich auch in neuerer Zeit offensichtlich nichts geändert, sodass auch auf jüngere Erwägungen über »Banker zwischen Bestrafung und Bewährung « zurückzugreifen war. Dies gilt übrigens auch für die Geldwäschebekämpfung, deren »Sinn und Unsinn« Gegenstand einer aktuellen Untersuchung in der Fachzeitschrift Kriminalistik war. Angesichts der neuesten Geldwäschevorwürfe gegen die Deutsche Bank scheint man daraus aber immer noch nicht überall die gebotenen Konsequenzen gezogen zu haben. Es bleibt daher nur zu hoffen, dass eine erneute Veröffentlichung endlich einige Lerneffekte auszulösen vermag.
Das Gleiche gilt im Hinblick auf ein Unternehmensstrafrecht. Der Gesetzgeber hat sich durch klare Ausführungen, die teilweise schon vor mehr als fünfzehn Jahren an verschiedenen Stellen nachzulesen waren, nicht beeindrucken lassen und verharrt immer noch in einer skandalösen Duldungsstarre. Vielleicht eröffnen sich mit der konzentrierten Darstellung mancher Einsichten in diesem Buch doch noch Auswege aus einem anscheinend hermetisch geschlossenen Zirkel der Ignoranz und des Unwillens.
Wie auch immer: Die Deutsche Bank wurde vom Autor mehrfach um ein Gespräch gebeten, erfolglos. Dies passt zu der auch sonst von der Deutschen Bank gegenüber der Justiz und Aufsichtsbehörden geübten »Kooperation«, die zumindest phasenweise nicht immer von »Obstruktion« zu unterscheiden ist. Wenn einem Vorstandsvorsitzenden (Fitschen) nichts anderes einfällt, als beim Ministerpräsidenten des Landes Hessen anzurufen, um ihm sein Missvergnügen über die Durchführung einer richterlich angeordneten Hausdurchsuchung beim Hauptsitz der Deutschen Bank in Frankfurt am Main mittzuteilen, so als ob ein »Potentat« darüber zu entscheiden hätte, ob die Justiz ihre Pflicht tut, muss man sich im Übrigen weder über Rechtsbewusstsein noch über Manieren in der Deutschen Bank Gedanken machen. Auch die folgenden Ausführungen können die angedeuteten Fragen trotz mancher vorausgegangener Versuche nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Es wäre daher wohl nicht zulässig gewesen, sie unter folgenden Titel zu stellen:
»Die Deutsche Bank ist eine kriminelle Vereinigung!«
Das ändert nichts daran, dass in manch einem Presseartikel genau diese Frage gestellt wird. Solange der Gesetzgeber nicht die Voraussetzungen schafft, die für ein strafrechtliches Vorgehen gegen die Deutsche Bank als Unternehmen notwendig sind, geht die Frage nach einer Bestrafung des gesamten Instituts allerdings ins Leere.
Vorwort aus dem brandaktuellem Buch „Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?“ von Wolfgang Hetzer.