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Gewalt in der Partnerschaft

Gewalt ist kein Kavaliersdelikt. Darin sind sich Politik und Gesellschaft einig. Mittlerweile ist es gesellschaftlicher Konsens, dass häusliche Gewalt nicht gestattet ist und bestraft werden muss. Dennoch halten sich hartnäckig sogenannte Gewaltmythen, die körperliche, sexuelle und seelische Übergriffe rechtfertigen, verharmlosen, entschuldigen. Die Mythen reichen von »passiert doch nur im Suff«, »unter sozial Schwachen und in bildungsfernen Kreisen« bis hin zu »sie ist doch selbst schuld, warum provoziert sie ihn auch so« und »wie soll er sich denn sonst wehren, sie ist ihm verbal und intellektuell doch überlegen«. Fakt ist: Häusliche Gewalt kommt in jedem Alter und in jeder Gesellschaftsschicht vor, wie Simone Schmollack in ihrem Buch „Und er wird es wieder tun“ zeigt. Und sie kommentiert die aktuellen Zahlen, die das BKA Ende November veröffentlicht hat.

139 Frauen und 30 Männer waren es im vergangenen Jahr. Ein Jahr zuvor zählte das Bundeskriminalamt (BKA) 117 Frauen und 32 Männer. Sie sind durch Gewalt ums Leben gekommen. Doch nicht durch Übergriffe von Fremden, etwa bei einem Raubüberfall, einem Wohnungseinbruch oder durch einen terroristischen Anschlag. Nein, ihnen wurde das Leben genommen – von Menschen, die ihnen (vermeintlich) nahestanden.

Das nennt man Partnerschaftsgewalt. Und die hat vielfältige Formen: Schlagen, Treten, Beißen, Stalking, Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, oder eben auch Mord und Totschlag. Im Jahr 2020 zählte das BKA insgesamt 146.655 Fälle, bei denen ein aktueller oder der Ex-Partner Gewalt ausübte oder dies versuchte. Über 80 Prozent der Opfer sind Frauen, die Täter in der Regel Männer.

Setzt man die beiden Vergleichsjahre 2020 und 2019 nebeneinander, ergibt sich ein Anstieg der Fallzahlen von knapp 5 Prozent. In den vergangenen Monaten hieß es oft, in der Pandemie habe Partnerschaftsgewalt massiv zugenommen. Das erscheint logisch: Das Paar zusammen zu Hause, nicht selten in viel zu kleinen Wohnungen. Die Kinder dürfen nicht in die Schule und müssen im Wohnzimmer oder am Küchentisch unterrichtet werden. Manche Menschen verloren infolge von Geschäftsschließungen ihren Job, sind psychisch angespannt und in ihrer Existenz bedroht. Da wird der Ton zwischen PartnerInnen schon mal rauer, Aggressionen stauen sich an und schlagen irgendwann um in Gewalt. Und das vermehrt.

Doch diesen Rückschluss lassen die Zahlen nicht zu. Darauf legt BKA-Chef Münch Wert. Denn die aktuellen Daten beziehen sich auf Fälle, bei denen die Ermittlungen 2020 bereits abgeschlossen wurden. Münch weiß aber auch, dass es für Betroffene in Zeiten vom Homeoffice und Kontaktsperren schwieriger ist, zur Polizei zu gehen oder wenigstens dort anrufen zu können, solange der gewalttätige Partner ständig in der Nähe ist und aufpasst. Auch Gespräche mit Bekannten, Kolleginnen und Kollegen oder beim Arzt sind kaum möglich.

Zudem bildet die Kriminalstatistik nur das sogenannte Hellfeld ab, also jene Fälle, die öffentlich werden, weil die Polizei eingreift und Behörden eingeschaltet werden. Die meisten „Beziehungstaten“ bleiben hingegen unerkannt – das war auch schon vor der Pandemie so. Warum? Weil die Gewalt in der Regel in den eigenen vier Wänden stattfindet. Weil die betroffenen Frauen ihre (Ex-)Partner nicht anzeigen. Weil sie die Anzeige später wieder zurückziehen. Weil sie darüber schweigen, dass ihr Zuhause kein sicherer Ort ist. Weil sie ihre Kinder schützen wollen.

Das ist dramatisch – zu allen Zeiten und nicht erst in den Coronamonaten. Eine Studie des Bundesfamilienministeriums geht davon aus, dass jede vierte Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner bedroht, geschlagen, gedemütigt, vergewaltigt und verfolgt wird. Eine neue Untersuchung soll demnächst auch das Dunkelfeld ausleuchten.

Die Zahlen, die das BKA im nächsten Jahr inklusive der Pandemiemonate präsentiert, dürften in der Tat weitaus höher sein.

Simone Schmollack

Simone SchmollackSimone Schmollack ist taz-Journalistin. Sie studierte von 1984 bis 1989 Germanistik und Slawistik in Leipzig und Smolensk (Russland) sowie Journalistik an der Freien Universität in Berlin. Sie ist Autorin mehrerer Bücher.

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