Fünf Jahre „Die Anstalt“: Über den Boom der informativen Satire
Zum fünfjährigen Jubiläum der Anstalt erscheint diese Woche das Buch Die Rache des Mainstreams an sich selbst, mit Dietrich Krauß, Max Uthoff, Claus von Wagner, Norbert Blüm, Mely Kiyak, Arnulf Rating, Gabriele Krone-Schmalz und vielen anderen. Die Beiträge von Kollegen, Gästen, Freunden und Fans der Anstalt, gewähren einen einmaligen Blick hinter ihre Kulissen, und rufen großartige Momente der Sendung in Erinnerung. Die Anstalt ist die wohl wichtigste kritische Satiresendung im deutschen Fernsehen und Herausgeber Dietrich Krauß fragt nach dem Verhältnis von Journalismus und Satire in einer Zeit, in der kommerzielle Zwänge viele Redaktionen unter Druck setzen. Lesen Sie zum Erscheinen des Buchs einen Auszug aus seinem Beitrag.
Erst seit dem Fall Relotius kommt eine Debatte darüber in Gang, wie gefährlich es ist, wenn die komplexe Wirklichkeit für die Berichterstattung dramaturgisch passend gemacht wird. Auch »wahre« Geschichten laufen Gefahr, die Wirklichkeit zu beschönigen, wenn sich die Kriterien einer guten Reportage vom Journalistischen ins Ästhetische verschieben; wenn – so Spiegel-Redaktionsleiter Fichtner in frappierender Offenheit – die Stimmigkeit im Zweifel wichtiger ist als die Frage: Stimmt das überhaupt? Diese Erzählungen à la Relotius sind auch deshalb aktuell so attraktiv, weil sie in einer hochkomplexen Welt wie ein Beruhigungsmittel wirken. Solange ein genialer Reporter die Welt noch schön aufschreiben und aufbereiten kann, bleibt sie erträglich. Aus einer kritischen Perspektive freilich wechselt der Journalismus mit dieser Überhöhung der Erzählform ins Lager der Gegenaufklärung: Anstatt Machtstrukturen zu analysieren, theatralisiert die Presse die Wirklichkeit. Die Medien werden, so Thomas Assheuer, zu Agenten der Entpolitisierung. »Der postmoderne Journalismus (…) hat nicht über die Wirklichkeit aufgeklärt, sondern sie in schönen Geschichten aufgelöst und in einen suggestiven Glanz getaucht. Er hat dafür gesorgt, dass der Leser sich keine andere Gesellschaft vorstellen kann als die, die es schon gibt.«
Parallel zur Homogenisierung der Inhalte befördert also auch der formale Trend zu einer erzählerischen Berichterstattung in den Leitmedien ein Denken in Alternativlosigkeiten. Weite Felder der Meinungs- und Themenlandschaft liegen brach und warten darauf, von anderen bestellt zu werden. Das Publikum sucht nach Alternativen und findet sie im Internet, aber eben auch in der Satire, wo die verdrängten Fakten, Zusammenhänge und Positionen, die durch das Raster der Berichterstattung fallen, wieder auftauchen. Umso homogener das öffentliche Meinungsbild, desto mehr fallen Beiträge auf, die aus der Reihe tanzen. So lässt sich die starke Aufmerksamkeit erklären, die eine Satiresendung wie Die Anstalt mit Sendungen zur Ukraine und zu Griechenland allein schon dadurch erzielte, dass sie griechische beziehungsweise russische Positionen überhaupt formulierte und damit die blinden Flecken eines allzu selbstgefälligen deutschen beziehungsweise westlichen Standpunktes auf die Schippe nimmt.
Würde Die Anstalt sich allerdings grundsätzlich darauf beschränken, nur den »fehlenden Part« auszufüllen, liefe sie schnell Gefahr, die Einseitigkeiten der Berichterstattung lediglich zu spiegeln und damit die Polarität der öffentlichen Debatte weiter zu verstärken. Genau das wurde der Satiresendung auch bei ihren Beiträgen zum Ukrainekonflikt zum Vorwurf gemacht. Das, was eigentlich klassischerweise Charakteristikum jeder Satire ist, auf Missstände hinzuweisen, indem man ein Zerrbild der Wirklichkeit zeichnet, wurde ihr als Einseitigkeit zum Vorwurf gemacht. Ganz offensichtlich sind die Ansprüche, die an die Satire gestellt werden, in dieser neuen Konstellation deutlich gestiegen. Wo der Satiriker sich anschickt, die Felder des Journalismus zu beackern, muss er deshalb seine Bewirtschaftungsform anpassen, um eine gute Ernte einzufahren. Wenn die Berichterstattung der Leitmedien bei gewissen Themen schon als einseitig statt ausgewogen, moralisierend statt faktengesättigt und schwarzweiß statt voller Grautöne wahrgenommen wird, muss Satire ihren angestammten Habitus aufgeben, den Zugriffsmodus ändern und ernsthafter werden. Wenn die dargestellte Realität, vor allem in den Debatten der sozialen Netzwerke, bereits von Polemik und Verkürzungen geprägt ist, läuft satirische Übertreibung ins Leere: Wie soll man etwas zuspitzen, das schon völlig verkürzt ist? Wie eine schrille Polemik noch verzerren? Und wie auf einen Wissenszusammenhang anspielen, der gar nicht vorhanden ist, weil die nötigen Informationen, beispielsweise zur Rente, dem breiten Publikum gar nicht geläufig sind? Auf die klassisch satirische Weise kommt man einer solchen medialen Realität nicht bei und man würde so den als mangelhaft erlebten Diskurs nur vervielfältigen.
Wenn heutige Satire also mehr sein will als der negative Abdruck einer Schwarzweißmalerei, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich ein Stück weit den aufklärerischen Formen des Journalismus anzunähern. Satire muss Informationen und Fakten liefern statt bloß Meinung und Moral. Sie muss durch genaue Differenzierung, weniger durch grobe Zuspitzung provozieren. Sie muss journalistisch ernsthaft werden und dabei doch satirisch unterhaltsam bleiben. Das stellt die Satiriker vor neue Herausforderungen: Es gilt, den Wissenszusammenhang, der im klassischen Kabarett sofort satirisch angespielt werden kann, weil er als gesetzt gilt, erst Stück für Stück herzustellen. Das Publikum muss also im Lauf einer Szene erst auf den gleichen Wissensstand gebracht werden. Der Unterhaltungswert darf dabei natürlich keinesfalls unter der Informationslast leiden, schließlich legitimiert allein das Lachen des Publikums das Privileg einer zugespitzten satirischen Meinungsäußerung vor einem Millionenpublikum. Umgekehrt muss die Komik die Informationsvermittlung stützen und sie darf nicht von ihr ablenken, will man dem angestrebten journalistischen Anspruch gerecht werden.
Im Idealfall erhöht der Unterhaltungswert die Aufmerksamkeit und damit die Nachhaltigkeit der gelieferten Information. Zudem hilft der satirische Ansatz, der immer versucht, Dinge auf einen (absurden) Punkt zu bringen, aus komplexen Prozessen und Themen die wesentlichen Elemente herauszuarbeiten. Wenn diese Balance gelingt, kann selbst in einer Satiresendung solch schwere Kost, wie das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das Jahresgutachten der Wirtschaftsweisen, die EU-Abgasrichtlinien oder die alliierten Sondervorbehalte erkenntnisfördernd vermittelt werden.
Betrachtet man den Erfolg der neuen Formate, so erweist sich die Satire formal als erstaunlich flexibel und ihr Humor als durchaus entwicklungsfähig. Satire kann offenbar nicht nur Spott unterhaltsam verbreiten, sie kann dabei auch Wissen didaktisch präsentieren. Interessanterweise bietet gerade diese anspruchsvolle Form der Satire die Chance, die Zusammensetzung des Publikums über den Kreis der kabarettistischen Gesinnungsgemeinschaft von Eingeweihten und ohnehin schon Überzeugten hinaus zu öffnen, bietet sie doch – bezogen auf das themenspezifische Vorwissen – ein niederschwelliges Aufklärungsangebot für alle.
Dietrich Krauß wuchs auf in Crailsheim, studierte Journalistik in München und promovierte in Politischer Theorie. Er war 20 Jahre Unterhaltungsredakteur beim SWR, arbeitete als Autor für Plusminus und Monitor und produzierte Dokumentationen für die ARD. Seit 2014 ist er Redakteur und Autor der Anstalt beim ZDF und schreibt auch für die heute-show. Er wurde ausgezeichnet mit dem Grimme-Preis, dem Deutschen Fernsehpreis und dem Ernst Schneider Preis für Wirtschaftsjournalismus. Er lebt in Stuttgart und tourte lange Jahre selbst als Kabarettist.