»Erst mal will ich 100 werden und dann sehen wir mal weiter«
Für ihr Buch „ALTERSLOS – GRENZENLOS – Portraits und Gespräche über das Leben“ hat sich die Künstlerin Simone Rethel-Heesters mit Kamera und Mikrofon auf den Weg gemacht und mit Menschen gesprochen, die unabhängig von ihrem biologischen Alter ihr Leben weiterhin beruflich aktiv und sinnhaft gestalten: Handwerker, Künstler, Forscher oder Politiker, bekannte und unbekannte Persönlichkeiten. Entstanden ist eine beeindruckende Dokumentation mit durchaus kontroversen Ansichten nicht nur über das Thema Alter. Ein Auszug aus dem Gespräch mit Dieter Hallervorden.
Du bist der Prototyp und Inbegriff meines Buchthemas. Darf ich fragen, wie alt Du bist?
Ja, als geborener Optimist hoffe ich, im September diesen Jahres 85 zu werden.
Abgesehen von Deinem tatsächlichen Alter: Wie alt fühlst Du Dich?
Ich glaube, dass ich in meinem tiefsten Innersten sehr viel Kind geblieben bin. Ich fühle mich eher wie ein sehr gesunder Sechziger, aber das hat natürlich auch viel damit zu tun, dass man dafür sorgt, dass sich Herz, Verstand und körperliche Tüchtigkeit im Gleichgewicht halten. Ich hatte zwar meine kleinen Laster, ich habe sie aber immer in Maßen gehalten. Mein Körper hat mir ganz schnell angezeigt: Mensch, das ist zu viel, auch beruflich, sodass ich mal kürzertreten und Pausen einlegen musste. Ich habe sehr auf meinen inneren Schweinhund gehört, der mir sagt: Dieter, davon ist es jetzt genug. Ich habe in meinem Leben sehr viel Sport gemacht. Man kann mir zwar ein Leben nach dem Tod versprechen, aber solange das nicht bewiesen ist, will ich erst mal dieses ausnutzen. Ich habe eine große Lebenslust, allerdings muss ich einschränkend sagen, dass ich Schwierigkeiten habe, längere Zeit allein zu verbringen. […]
Sprichst Du viel von früher?
Ich bin, wie es in der DDR-Hymne hieß, »der Zukunft zugewandt«. Mich interessiert, was in den nächsten Minuten, in den nächsten Tagen und Monaten passiert. Sicherlich denke ich zurück, wenn ich an meine Eltern denke oder speziell an meinen Vater, mit dem mich sehr viel verbunden hat. Dann bleibe ich in Gedanken lange dort hängen, aber eigentlich nur aus Liebe.
Du bist ja auch jemand, der im Internet postet, oder macht das jemand für Dich?
Nein, nein, das mache ich schon selber. Es muss auch ein Sinn dahinterstecken, und das kann man auch von mir erwarten.
Du wurdest im Internet als Antisemit bezeichnet. Wie gehst Du damit um?
Ich stehe dazu, dass ich den Netanyahu als Politiker absolut nicht mag. Nun ist der Jude, und wenn ich das sage, dann wird unterstellt, ich meine alle Juden – absolut nicht! Ich habe beispielsweise eine lange Bekanntschaft mit Ilja Richter – mehr als Bekanntschaft. Ich habe viel mit Juden zusammengearbeitet. Um mich auf meine Rolle in »Chuzpe – Klops braucht der Mensch!« vorzubereiten, haben mir Juden sehr geholfen. Ich bin mit Juden immer gut ausgekommen. Ich kritisiere die israelische Politik und finde schon, dass man mit Palästinensern
fairer umgehen könnte.
Ich habe jüdische Freunde, die darauf immer sehr allergisch reagieren. Sie sagen, das sei die neue Form des Antisemitismus, wenn man sagt: »Ich hab nichts gegen Juden, aber was in Israel passiert, da bin ich nicht mit einverstanden.«
Mein Großvater hat eine Synagoge vor einer Brandstiftung bewahrt. Er hat daraufhin seinen Job verloren, das hätte ihn Kopf und Kragen kosten können. Ich bin von meiner Herkunft her davor gefeit, Antisemit zu sein. Das bin ich weiß Gott nicht, aber ich nehme mir trotzdem das Recht heraus zu sagen, dass es genau in dem Teil, wo Jesus den Frieden gepredigt hat, die größten Probleme im Nahen Osten gibt. Das ist ein Pulverfass. Alle Seiten wären gut beraten, einen Weg zu finden. Jitzchak Rabin, der Ministerpräsident von Israel, der hatte ja einen Weg gefunden, ist dafür aber ermordet worden!
Macht Dir die Arbeit heute noch die gleiche Freude wie früher?
Ich glaube, wenn man Dinge machen will, muss man mindestens die 100 Prozent anstreben. Erreichen wird man sie meistens nicht, aber wenn man es nicht wenigstens versucht, dann landet man im Durchschnitt. Und Durchschnitt möchte ich nicht produzieren. Das heißt, ich gehe nach wie vor mit großer Liebe zum Detail an die Sachen.
Kannst Du Ratschläge von Jüngeren gut annehmen?
Beruflich gesehen, höre ich genau zu und sage, ich geh den Weg mal mit, versuch’s mal so. Ich hab ein großes Timing-Gefühl und merke ganz schnell, das war ein guter Ratschlag oder das mag ein guter Ratschlag sein, aber nicht für mich. Also, ich mache einfach eine Auslese: Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.
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