Erst kommt die Moral, dann das Fressen!
Er kochte für die Queen, für Staatsoberhäupter, und Angela Merkel war mit Wladimir Putin in seiner „Adler Wirtschaft“ in Hattenheim zu Gast. Doch nicht nur deshalb sagt Franz Keller, einer der meistdekorierten Sterneköche in Deutschland, der sein Handwerk bei Kochlegenden wie Jean Ducloux und Paul Bocuse erlernte: Essen ist Politik. Franz Keller, der neben Eckart Witzigmann zur ersten Generation der Starköche zählte, die die deutsche Küche revolutionierten, verabschiedete sich schon Ende der 1990er Jahre ganz bewusst von der übertriebenen Sterne-Jagd und verfolgt seither konsequent seine eigene Philosophie: vom Einfachen das Beste. Artgerecht und naturnah züchtet er heute die Rinder und Schweine selbst, die er in seiner Küche verarbeitet. Mit seinem Buch liefert er ein leidenschaftliches Plädoyer für eine ehrliche Küche und ein radikales Umdenken in der industriellen Nahrungsmittelproduktion, die den Respekt vor den Tieren und Pflanzen verloren hat und den Menschen krank macht. Das Buch erscheint am 3. April, lesen Sie hier einen Auszug aus dem ersten Kapitel.
Die Weltbevölkerung nimmt zu. Vor allem an Gewicht. Das ist leider kein Witz, sondern adipöse Realität. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit sterben auf unserem Planeten mehr Menschen an Fettleibigkeit und falscher Ernährung als an Hunger. Was hier eigentlich der größere Skandal ist, vermag ich kaum zu entscheiden. Aber Nachrichten wie diese bringen mich in manchen Momenten an den Rand der Verzweiflung. Fast mein ganzes Leben habe ich der Suche nach dem perfekten Genuss gewidmet. Bis hoch hinauf in den kulinarischen Sternehimmel und wieder zurück auf den fruchtbaren Boden auf meinem Falkenhof in Heidenrot im Wispertal, wo ich inzwischen meine Rinder, Schweine und Hühner selbst züchte, weil ich die Qualität, die ich mir auf dem Teller meiner Küche vorstelle, nicht mehr kaufen kann.
Leiden wir inzwischen tatsächlich an einer kollektiven Essstörung? Gemessen an den Kochshows, Küchentalks und Food- Blogs, die sich im TV und in den Social-Media-Kanälen inflationär verbreitet haben, könnte man ja denken, wir Deutschen entwickeln uns allmählich zu einem Volk der Gourmets und Genussköche. Tatsächlich aber läuft der Trend komplett in die entgegengesetzte Richtung: Weg von frisch zubereitetem Essen und hin zu industriell produzierten Fertiggerichten und Lebensmitteln, die ich eher als Sterbemittel bezeichnen würde.
Oder wundert sich noch jemand, warum durch Nahrungsmittelunverträglichkeiten provozierte Allergien und deren Folgeerkrankungen ständig zunehmen? Eine gesunde Ernährung favorisieren zwar die meisten Menschen – doch leider nur in Meinungsumfragen. Die Realität sieht anders aus: Mehr als zwölf Prozent der Deutschen nehmen niemals einen Kochlöffel in die Hand. Über ein Drittel kocht, wenn es hoch kommt, zwei Mal in der Woche. Und während die Promiköche in der Glotze um die Wette witzeln, schaufelt sich eine zunehmende Zahl der Zuschauer offensichtlich Tiefkühlpizza und Fertigfutter aus der Mikrowelle rein oder lässt sich das Fastfood durch unterbezahlte Kuriere vom Lieferservice nach Hause bringen. Schnell, effizient und billig muss das Essen heute sein. Eine Katastrophe! Dafür nehmen wir eine extreme Massentierhaltung in Kauf, die jeden Respekt vor den Tieren verloren hat, die nie das Sonnenlicht oder ein Fleckchen echte Natur gesehen haben. Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal auf einem zähen Stück Billigfleisch kauen. Sie kauen auf der Todesangst eines auf barbarische Weise gezüchteten und geschlachteten Tieres. Wir akzeptieren mit Gülle überdüngte Böden, die unser Trinkwasser mit Nitrat verseuchen und vergiften unsere mit Monokulturen bepflanzten Äcker mit Glyphosat, obwohl das massive Insekten- und Vogelsterben inzwischen nicht mehr geleugnet werden kann. Wir diskutieren ernsthaft, ob wir nicht schon unsere Grundschulen digitalisieren sollen, aber die Grundlagen einer vernünftigen Ernährung sind an unseren Schulen bis heute ein völlig unterbelichtetes Thema.
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Schritt für Schritt habe ich mir die Freiheit zu erarbeitet, meinen eigenen Weg zu gehen: »Vom Einfachen das Beste.« Für diese Idee meiner Küche bin ich in gewisser Weise noch einmal an den Anfang zurückgegangen und vom blank gewienerten Sternehimmel dann letztendlich auf meinem Falkenhof gelandet – manchmal knöcheltief im Mist. Genuss fängt eben nicht auf dem Teller an, sondern weit davor. Manchmal denke ich, in einer fernen Zukunft wird man auf die Menschheit unserer Tage so zurückblicken, wie wir heute auf die Dinosaurier. Dann wird man sagen, »die Menschen damals konnten sich nicht schnell genug an die veränderten Umweltbedingungen anpassen«. Mit dem kleinen Unterschied, dass wir noch dümmer als die Dinos sind, weil wir gerade mit rasantem Tempo dabei sind, uns unsere Lebensgrundlagen selbst zu zerstören. Ich tauge gewiss nicht zum Chefkritiker und Weltverbesserer und alles, was ich tue, mache ich im Grunde für mich. Von meinem Sohn, der inzwischen der Küchenchef und Patron in unserer Adler Wirtschaft ist, darf ich mir immer wieder anhören: »Du bist ein Idealist. Dir ist es am Ende scheißegal, wie sich das rechnet. Wenn du sagst, du willst es so machen, dann machst du es so und ziehst es durch. Ich will in meiner Küche ein gutes Produkt anbieten und möchte von dem leben, was wir machen.« Das ist ein guter Plan. Ich bin sehr glücklich darüber, dass Franz Keller jun. in die Adler Wirtschaft eingestiegen ist und wir gemeinsam dasselbe Ideal verfolgen. Und es ist gut, dass er mich immer mal wieder daran erinnert, dass wir auf dem Weg zu einer ehrlichen wie nachhaltigen Küche nicht selber vor die Hunde gehen dürfen. Essensqualität und Lebensqualität gehören unbedingt zusammen. Wir sind noch nicht am Ziel unserer Wünsche und Träume, aber auf einem guten Weg dorthin.

Schwein gehabt! Meine Bunten Bentheimer fühlen sich auf dem Falkenhof sauwohl, denn sie leben hier eben noch ein echtes Schweineleben. Das sollte selbstverständlich sein. Schon aus Respekt vor der Kreatur, von der wir leben. Ist es aber nicht. Die vielen Millionen Schweine, die pro Jahr in Deutschlands Mastfabriken produziert werden, haben nie die Sonne oder eine grüne Wiese gesehen.