„Diese jungen Klimademonstranten sind alles, was wir haben“
Klimaerwärmung, Meeresvermüllung, Raubbau an unserer Umwelt – die Zukunft unseres Planeten steht auf dem Spiel. Die „Fridays for Future“ sind für den Wirtschaftsexperten Peter H. Grassmann ein Hoffnungsschimmer, denn nur wenn noch viel mehr Druck auf die Entscheider in Wirtschaft und Politik aufgebaut wird, kann sich wirklich etwas verändern. Alle vier Jahre ein Kreuz zu machen reicht längst nicht mehr. In seinem Buch „Zähmt die Wirtschaft“ fordert Grassmann daher eine direkte Beteiligung der Bürger an den wirklich wichtigen gesellschaftlichen Fragen und zeigt, was getan werden muss, um die Bevormundung durch Wirtschaft und Politik zu beenden.
„Wir Alten haben es verbockt.“ So äußerte sich Anfang Februar die Protest-Ikone Joan Baez in einem Interview der Neuen Züricher Zeitung und unterstrich damit, wie sehr auch sie enttäuscht ist über die Schwäche der Politik bei der Bekämpfung des Klimawandels.
Und am Freitag, den 1. März demonstrierten Tausende von Schülern während der Schulzeit vor Rathäusern und Parlamenten erneut deutschlandweit. In Hamburg diesmal zusammen mit Greta Thunberg, der jungen Schwedin, die mit ihrem mutigen Schritt dauerhafter Schulverweigerung an Freitagen Medien und Politik unübersehbar auf dieses dramatische Zukunftsproblem Klimawandel aufmerksam machte. Eigentlich ist dieser Schulstreik eine Ungeheuerlichkeit, aber er könnte wegen der weitgehenden Hilflosigkeit unserer Politik verstanden werden als ziviler Ungehorsam, wie in meinem neuen Buch begründet und vertieft, aber auch erläutert bei Telepolis. Zu verstehen ist dieser seit Jahren zögerliche Umgang der Politik mit dem Klimaproblem nur schwer, vor allem, wenn man außerhalb der Entscheidungszirkel der Wirtschaft steht.
Erfolgreicher Widerstand der Wirtschaft
Denn der normale Bürger macht sich kaum bewusst, welch enorme Anlagenwerte und Investitionen der Energiewirtschaft und der Automobilbranche verloren gehen und wie die Forschungsausgaben steigen, wenn sich diese Wirtschaftssektoren dem Klimawandel konsequent stellen würden. Denn es sind nicht nur die Milliardenwerte der Produktionsanlagen, es sind auch die Millionen von Arbeitsplätzen, die auf den heutigen Verbrennungsmotor eingeschworen sind und die mit hohen Sozialkosten abgebaut werden müssen. Denn nur zum kleinsten Teil wird man umschulen können und insgesamt werden es weniger Arbeitsplätze sein. Wenn man das aus der Sicht eines Wirtschaftsmanagers sieht, fühlt man die Billionen, die hier abzuschreiben sind – wie auch die entstehenden Verluste und wegschmelzenden Boni – und wundert sich nicht, wenn unglaubliche Tricks angewandt wurden. Verunsichern, verzögern und träge jede Veränderung verweigern, ist noch immer die Devise, unterstützt durch manche tendenziöse Stiftung und einige gekaufte Journalisten oder auch Wissenschaftler. Nur, der neueste UN-Bericht ist noch alarmierender als alle zuvor, wir müssen handeln.
Es ist fünf nach zwölf.
Mich lässt das nicht ruhen. Ich habe dieses Buch „Zähmt die Wirtschaft“ aus Wut geschrieben, aus der Sicht eines Physikers und Wirtschaftsmanagers. Mein Blickwinkel ist anders als der in den klassischen Büchern zum Klimawandel. Kaum jemand sieht, wie begeistert die Wirtschaft war, als die europäischen Bürger hofften, den Vereinten Nationen würde eine weltweite Übereinkunft gelingen auf ihren vielen Klimakonferenzen. Aber weltweiten Konsens bei so einschneidenden Themen kann es nicht geben, vor allem nicht, wenn die Wirtschaft die Meinungsunterscheide allerorten fördert. Es gibt nur die Verantwortung als Nation und als Kontinent, weltweite Einigkeit war nie mehr als ein schöner Traum. Über diese falsche Hoffnung vergingen nun zwanzig Jahre der Untätigkeit, nimmt man die erfolglose Konferenz von Kyoto 1999 als Ausgangspunkt – wobei man diesen auch deutlich früher setzen könnte, bis zurück in die 1980er-Jahre.
Beruhigt durch eine falsche Zahl
Und die Wirtschaft war auch begeistert, dass die Wissenschaftler mit einer ungeeigneten Zahl kommunizierten, nämlich der harmlos klingenden mittleren Erwärmung von ein oder zwei Grad Celsius. Das ist so, als wollte man mit dem Anstieg der gemittelten Körpertemperatur einer Nation die Schwere einer Grippewelle zeigen. Die richtige Zahl für die Klimaveränderungen wäre für den Normalbürger die Zunahme der Extrema. Eine Grafik im Buch zeigt, wie sich die Wetterextreme in den Jahren 1980 bis 2011 verzehnfacht haben, danach wurden die Arbeit des Klimaforschungsinstituts IGBP eingestellt. Will man uns beruhigen und gewisse unbequeme Wahrheiten lieber verschweigen? Fakt ist: Ein Kreuzchen alle vier Jahre reicht nicht mehr. Mein Buch fordert deshalb zu Widerstand und Protest auf und setzt sich ausführlich mit den Schwächen unserer Demokratie auseinander – und mit weitreichenden Vorschlägen zu deren Weiterentwicklung.
Dem Bürger wird Demokratie verweigert
Der Erfolg der bayerischen Volksinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt beweist, welchen Druck ein bundesweiter Volksentscheid entfalten könnte. Denn der Artenschwund ist kein isoliertes Problem Bayerns. Dort brachte der große Abstimmungserfolg nun wirklich Bewegung. Der Erfolg hat nicht nur den Ministerpräsidenten, sondern auch den bisher lobbyartig nur für Monokulturen plädierenden Bauernverband aufgeschreckt und moderater werden lassen, wie sich kürzlich am Runden Tisch zeigte. Solche verändernden Debatten brauchen wir bundesweit, nichts daran ist nur ein bayerisches Problem.
Natürlich trifft jeder Volksentscheid zunächst auf ungenügende Information. Das war der Todesstoß des EU-Referendums in Großbritannien beispielsweise. Es ist für einen guten Ausgang mitentscheidend, dass neutral informiert und moderiert wird und dass komplexe Vorgänge auf den entscheidenden Kern verdichtet werden, verständlich und nachvollziehbar für jedermann. Womit auch klar ist, dass sich der Volksentscheid nicht für jedes Thema eignet. Hoffen können wir dennoch, dass diese Partizipation auf Bundesebene in den demnächst beginnenden Gesprächen der Expertenkommission für den bundesweiten Volksentscheid diskutiert wird. Denn eine erneute Prüfung ist im Koalitionsvertrag festgelegt. Es war bisher nur die CDU, die gebremst hat – und bei deren Führung ist ja einiges im Fluss.
Der Meinung, das Volk sei „zu dumm“, um auch über große Sachthemen zu entscheiden, will ich energisch widersprechen. Wenn wir die richtigen Schritte tun, kann auch zum Thema Klimawandel ein allgemeines Problemverständnis entstehen, mit dem Schritt für Schritt ein echter Klimaschutz und eine faire Marktwirtschaft erzwungen werden kann. Denn das Mantra der (Wirtschafts-)Freiheit als Kern des Wohlstands einer Gesellschaft ist schlicht eine Lüge. Es ist eine Einschüchterung von Politik und Bürgern, die den Klimawandel erst verursacht hat. Marktwirtschaft braucht Regeln und bei denen müssen wir künftig mitreden.
Entsprechend war das Erscheinen des Buches am 1. März, dem Tag auch der Schülerdemonstration in Hamburg ein guter Auftakt. Mit umfassendem Überblick bietet es sich an für verunsicherte Lehrer, neugierige Oberklassen und für die Mandatsträger in Politik und der Parteien. Denn dort scheint man die Schülerproteste unverändert mit inhaltslosen Phrasen übergehen zu wollen. So etwa Kanzlerin Merkel, wenn sie sagt: „Ich unterstütze sehr, dass Schülerinnen und Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür kämpfen.“ Wie will sie das denn ernsthaft unterstützen? Ist es nicht gerade auch ihre Politik, wegen der die Schüler auf die Straße gehen, weil sie unter anderem über den gerade beschlossenen „Kohleausstieg“ wütend sind? Und wie wenig verstanden hatte auch Justizministerin Barley, wenn sie den protestierenden Schülern eine Herabsetzung des Wahlalters verspricht, obwohl doch gerade ein Kreuzchen alle vier Jahre von der Mehrheit der Bürger als völlig unzureichend angesehen wird. Es geht um Mitsprache in der Sache, zumindest dann, wenn die Politik zu mutlos für die notwendigen harten Entscheidungen ist. Es bleibt also zu hoffen, dass die Schüler ihre Proteste konsequent fortsetzen und die Teilnehmerzahlen weiterhin deutlich steigen.
Der vergangene Monat hat gezeigt, dass die Dinge in Bewegung kommen. In solchen Zeiten ist Sachkenntnis auch für die Mitglieder der NGOs, die an einer fairen, werteorientierten Marktwirtschaft interessiert sind, wichtig. Auch für sie wurde dieses Buch geschrieben. Aus Wut über das Jetzt und in der Hoffnung, dass es ein verbessertes Verständnis der Probleme bringt und den Willen zu Engagement und dem Kampf um neue Lösungen stärkt.