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Die Volksverführer

Die Bundesrepublik schaut gebannt gen Osten, wo es in naher Zukunft zu einer Neuordnung der politischen Landkarte kommen könnte: In Brandenburg, Sachsen und Thüringen werden nämlich im September und Oktober neue Landtage gewählt – mit potenziell katastrophalen Ergebnissen. So droht die AfD bei allen drei Wahlen mit Ergebnissen jenseits der 20 Prozent entweder die stärkste Kraft im Parlament oder zumindest der Angelpunkt der Koalitionsverhandlungen zwischen den anderen Parteien zu werden. Man möchte fast sagen: Der Rechtspopulismus hat es weit gebracht – und das nicht nur in Deutschland, sondern in aller Welt. Deshalb lohnt es sich, dieses Phänomen nicht nur hinsichtlich seiner unmittelbaren Ursachen und Folgen, sondern auch gemäß seiner inneren Logik zu untersuchen. Hierzu ein Text von Daniel Bax aus seinem Buch »Die Volksverführer«. Diese und weitere ausgewählte Texte finden Sie auch in »Denken, Wissen, Handeln: Politik«, der Jubiläumsausgabe zum 15-jährigen Bestehen des Westend Verlags. Ebenfalls ab jetzt im Handel: »Denken, Wissen, Handeln: Wirtschaft«, mit Texten von Ulrike Herrmann, Heiner Flassbeck, Paul Schreyer u.v.m.

 

Was ist Populismus und warum sind die Rechtspopulisten so erfolgreich?[i]

Das Wort Populismus hat in Deutschland keinen guten Klang. Manche halten es schlichtweg für eine Beleidigung. »Populismus« ist die neumodische Diffamierung eines politischen Standpunkts, den man nicht teilt«, schrieb die schrieb die FAZ einmal.[ii] Mit anderen Worten: Es sei bloß ein Kampfbegriff zur Stigmatisierung des politischen Gegners. Diese Sichtweise ist in bestimmten Kreisen sehr verbreitet. Gerade in Deutschland hat das Wort Populismus einen negativen Beigeschmack, es riecht nach Stammtisch und Bierzelt-Demagogie.

Andere sehen das allerdings weniger eng – sogar, wenn sie selbst damit gemeint sind. AfD-Chef Alexander Gauland sagte in einem Interview einmal, der Begriff Populismus sei für ihn »eine Ehrenbezeichnung«. Die Alternative für Deutschland sei in der Tat eine populistische Partei, weil sie »dem Volk aufs Maul« schaue.[iii] Auch von CSU-Chef Horst Seehofer ist der Satz überliefert, für ihn sei die Bezeichnung Populist »kein Schimpfwort, sondern ein Kompliment«. Der Front National in Frankreich schmückt sich mit dem Adjektiv »populistisch«, klingt das doch allemal besser als »rechtsextremistisch«. […] Ist Populismus also nur ein anderes Wort für »populär«, »volkstümlich« und »volksnah«? Steht »Populismus« also nur für einen bestimmten Politikstil? Das wäre verkürzt.

In der Tat gehören Vereinfachung und Polemik zum demokratischen Meinungsstreit dazu. Die politischen Forderungen nach den jeweiligen Vorlieben einer mutmaßlichen Mehrheit zu richten, um möglichst viele Wähler für sich zu gewinnen, gehört zum politischen Tagesgeschäft. Die Klage über populistische »Stammtischparolen« ist deshalb vermutlich so alt wie die moderne Demokratie selbst. Denn Politiker aller Parteien geraten gelegentlich in Versuchung, der Mehrheit nach dem Mund zu reden, wenn sie sich davon einen Vorteil versprechen. Insbesondere vor Wahlen zeigen sie sich anfällig dafür, die Positionen zu vertreten, von denen sie sich am meisten Applaus erhoffen. Auch die Verteilung von Wahlgeschenken wie Steuererleichterungen durch eine Regierung kurz vor einem Urnengang kann man gut und gerne als »populistisch« bezeichnen.

Doch man sollte Populismus als Methode oder Stilmittel vom Populismus als Prinzip oder gar Ideologie unterscheiden. Nach Politologen wie Jan-Werner Müller[iv] zeichnet sich Populismus im ideologischen Sinne dadurch aus, dass er die Bevölkerung in ein »Wir« und »die Anderen« spalte.

Meist ziehe der Populist eine scharfe Trennlinie zwischen dem angeblich authentischen, »wahren Volk« und dem vermeintlichen Establishment. »Kein Populismus ohne moralisch aufgeladene Polarisierung«, sagt Müller. Der Anspruch, als einzige Instanz den wahren Volkswillen zu kennen und zu vertreten, mache den Wesenskern von Populisten aus. Nicht die Kritik an der Euro-Rettung oder der Flüchtlingspolitik mache die AfD demnach zu einer populistischen Partei, sondern ihre Behauptung, damit für das »eigentliche« und »wahre« Volk zu sprechen, während alle anderen in ihrer Wahrnehmung ein »illegitimes Kartell« der »Altparteien« bildeten, das entfernt gehöre: eine Forderung, die bei AfD und Pegida in der Parole »Merkel muss weg« geronnen ist.

Für den niederländischen Politologen Cas Mudde sind Populisten der Ausdruck einer »pathologischen Normalität.«[v] Sie würden weit verbreiteten Ängsten und Einstellungen in radikalisierter Weise Ausdruck verleihen. Ihre Erzählung ist, wie im Märchen, ein Kampf »Gut gegen Böse«, eine Heldensage vom tapferen, besorgten Bürger gegen das Establishment, vom Volk gegen die Elite. Die Gegner werden dabei als Antidemokraten und nicht zum Volk zugehörig diffamiert. Populistische Anführer inszenieren sich selbst gerne als eine Art Rächer der Erniedrigten und Beleidigten, die dem Volk wieder zur rechtmäßigen Herrschaft verhelfen wollen. Dabei greifen sie oft auf Geschichtsmythen und historische Analogien zurück, die ihnen helfen, dieses Bild zu zeichnen. […]

Komplott-Vorwürfe und Verschwörungstheorien erfüllen dabei eine wichtige Funktion. Sie erklären, warum die Populisten (noch) nicht an der Macht sind, wo sie doch im Unterschied zu allen anderen den wahren Volkswillen vertreten. Verschwörungstheorien erlauben es Populisten, sich zu Kämpfern gegen finstere Mächte und illegitime Kräfte zu stilisieren und, wenn sie die Macht errungen haben, diese weiter zu festigen. […]

Nach Politologen wie Cas Mudde ist Populismus eine »dünne Ideologie«. Das heißt, er kann sich mit praktisch jeder anderen Ideologie verbinden – so, wie ein Chamäleon jede beliebige Farbe seiner Umgebung annehmen kann. Populismus kann mit einem sozialistischen oder stramm neoliberalen Wirtschaftsprogramm, mit konservativen oder liberalen Werten, mit Nationalismus oder Kosmopolitismus kombiniert werden. Der Erfolg hängt ganz vom gesellschaftlichen Umfeld ab. Nicht wenige Populisten sind veritable Wendehälse, die früher ganz andere Positionen vertreten haben, als sie das heute tun. Der junge Viktor Orbán begann einst als liberaler Reformer, bevor er sich als autoritärer Autokrat in die Pose eines Retters des »christlichen Abendlands« warf. Auch Recep Tayyip Erdogan strebte in seinen ersten Regierungsjahren als Ministerpräsident mit liberalen Reformen und einer politischen Öffnung in der Kurdenfrage einen EU-Beitritt seines Landes an, bevor er eine politische Wende um 180 Grad vollführte und einen autoritären und ultranationalistischen Kurs einschlug. Und Donald Trump war früher ein Anhänger der Demokraten, bevor er für die Republikaner als extremer Rechtsaußen-Kandidat ins Rennen ging, den sogar der Ku-Klux-Klan unterstützte. […]

Rechter Populismus ist im Gegensatz zu linkem Populismus exklusiv: Er grenzt Gruppen von Menschen aus der als »Volk« definierten Gemeinschaft aus und behauptet, die Interessen der einheimischen und leistungsfähigen Bevölkerung zu vertreten. Den herrschenden Eliten wird der Vorwurf gemacht, sich zu sehr um die Interessen von Minderheiten zu kümmern, oder gar mit diesen zu kollaborieren, und die »eigenen« Leute zu vergessen. Bestehende politische, soziale und ökonomische Hierarchien werden tendenziell eher verteidigt.

Rechter Populismus profiliert sich vor allem auf dem Rücken von Minderheiten: Das können Einwanderer und Flüchtlinge sein, aber auch Angehörige von alteingesessenen Gruppen wie Muslime, Juden, Roma oder Homosexuelle. Diese Minderheiten werden von europäischen Populisten mehr oder weniger deutlich als Feindbilder und Gefahr für Staat und Gesellschaft ausgemacht. Kosmopolitische Intellektuelle, kritische Journalisten und Menschenrechtler werden als Teile der angeblichen »Eliten«, die sich vom Volk entfremdet haben, oder, schlimmer noch, als Agenten ausländischer Mächte denunziert. […]

Rechtspopulisten bieten einfache Antworten auf komplexe Fragen an. Sie rühmen sich gerne damit, »Klartext« zu sprechen, und berufen sich auf den »gesunden Menschenverstand«. Damit einher geht eine Verachtung von Bildung und Wissen, ja sogar für Tatsachen und Fakten. Die Leute hätten »genug von Experten«, behauptete der britische Ex-Justizminister Michael Gove, einer der maßgeblichen Befürworter der Brexit-Kampagne, als er damit konfrontiert wurde, dass die meisten Ökonomen vor den unkalkulierbaren Risiken eines Austritts aus der EU warnten. Donald Trump beschimpfte bei seiner ersten Pressekonferenz die versammelten Medien als »Fake News«. Und viele Rechtspopulisten, von Trump bis zur AfD, zweifeln die Realität des Klimawandels an.

Rechtspopulisten sind nicht an der Lösung realer Probleme interessiert. Stattdessen blähen sie Scheinprobleme zu existenziellen Fragen auf, die mit symbolischer Politik beantwortet werden. Auch wenn nur wenige Frauen in Europa einen Ganzkörperschleier tragen, setzen sich Rechtspopulisten mit Erfolg dafür ein, genau das unter Strafe zu stellen. »Burka-Verbot« ist das Schlagwort, das eine dunkle Gefahr in Verzug suggerieren soll. Und jede Straftat eines Flüchtlings oder Einwanderers wird skandalisiert, als wäre sie schon ein Zeichen für »Staatsversagen.« Die Hetzer spielen dabei oft virtuos auf der Klaviatur der Ängste und beschwören schon bei nichtigen Anlässen den Ausnahmezustand herbei. […]

»Identität« ist für Rechtspopulisten ein zentraler Begriff. Sie beanspruchen seit jeher für sich, eine als homogen verstandene nationale Identität zu verteidigen: gegen eine zunehmende Internationalisierung und die Auswüchse der Globalisierung, gegen Einwanderer und Flüchtlinge, gegen eine vermeintliche »Überfremdung« oder »Islamisierung«. Dabei ist nationale Identität immer ein Konstrukt. Der britische Politologe Benedict Anderson betonte in seinem bekanntesten Werk, dass Nationen eine moderne Erfindung sind, und sprach von ihnen als »vorgestellten Gemeinschaften«.[vi] Wen Menschen als zu ihrer Nation zugehörig betrachten, ist auch heute noch von Land zu Land unterschiedlich. Meist ist es eine Mischung aus Sprache, Herkunft, geteilten Traditionen, Religionszugehörigkeit und Geburtsort, die darüber entscheidet, ob man von der Mehrheit als »echter Mitbürger« betrachtet wird oder nicht. Das hängt von historischen und politischen Faktoren ab und davon, ob sich Nationen als Einwanderungsländer verstehen oder nicht. […]

Warum sind Populisten derzeit überhaupt so populär? »Populisten ernten nur dort, wo andere gesät und ein Vakuum der politischen Repräsentation haben entstehen lassen«, meint die Münsteraner Politologin und Populismus-Expertin Karin Priester.[vii] Ohne gravierende Fehler und Defizite der etablierten Politik gebe es keinen Populismus als Gegenreaktion. Das Gefühl des Kontrollverlusts, der Machtlosigkeit und des Ausgeliefertseins gegenüber den herrschenden Verhältnissen in der vermeintlichen »Postdemokratie« (Colin Crouch) sei Wasser auf die Mühlen von Populisten.

[i] Auszug aus Bax, Daniel (2018): Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind, Westend, Frankfurt am Main, S. 16-40.

[ii] Michael Hanfeld: „Werte ohne Wert“, FAZ, 12.11.2016; http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/ursula-von-der-leyen-belehrt-trump-und-vergisst-erdogan-14523636.html

[iii] Alexander Gauland: „Ja, wir sind populistisch“, Preußische Allgemeine, 23.03.2017; http://www.preussische-allgemeine.de/nachrichten/artikel/ja-wir-sind-populistisch.html

[iv] Müller, Jan-Werner (2016): Was ist Populismus? Ein Essay, Berlin.

[v] Mudde, Cas (2010): “The Populist Radical Right: A Pathological Normalcy”, In: West European Politics 33 (6), S. 1167–1186.

[vi] Anderson, Benedict (1998): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, Berlin.

[vii] Priester, Karin (2012): Rechter und linker Populismus – Annäherung an ein Chamäleon, Frankfurt.

Daniel Bax

Daniel BaxDaniel Bax, Jahrgang 1970, ist Journalist und Autor. Er schreibt über Politik und Popkultur, Migration und den Umgang mit Minderheiten. Geboren in Brasilien, wuchs er in Freiburg auf und studierte in Berlin. 20 Jahre lang war er Redakteur bei der taz, die tageszeitung. Sein Buch "Angst ums Abendland. Warum wir uns nicht vor Muslimen, sondern vor den Islamfeinden fürchten sollten" ist 2015 im Westend Verlag erschienen. Er lebt und arbeitet in Berlin.

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