Die Türkei und die Währungskrise
Die Ökonomen rätseln seit Jahrzehnten über die Frage, ob und wie Volkswirtschaften, obwohl sie miteinander Handel treiben, in ihrer monetären Politik möglichst unabhängig bleiben können. Heiner Flassbeck zeigt in seiner grundlegenden Arbeit Preise, Zins und Wechselkurse, dass das nicht möglich ist. Wer Handel treibt, muss auch im Bereich des Geldwesens eng kooperieren. Lesen Sie hier den aktuellen Kommentar von Heiner Flassbeck zum Erscheinen der aktualisierten Neuausgabe seines Buches.
Alle regen sich über den türkischen Präsidenten auf, weil der den türkischen Notenbankchef entlassen hat. Daran könne man genau erkennen, welch schlimmer Finger dieser Erdogan ist, heißt es landauf landab. Nicht einmal vor der Unabhängigkeit der Notenbank – für Deutsche fast genau so wichtig wie die Würde des Menschen im Grundgesetz – mache seine Machtbesessenheit halt.
Was ob der moralischen Empörung schlicht vergessen wird, ist die einfache Frage, ob denn die Notenbank alles richtig gemacht hat. Da wird es schwierig und die Moral hilft überhaupt nicht mehr weiter. Man kann von Erdogan halten, was man will, aber es gibt in der Tat gute Gründe dafür, der türkischen Notenbank falsche Politik vorzuwerfen.
Was in den vergangenen Jahren in der Türkei passiert ist, passt haargenau in ein Schema, das man in vielen Schwellenländern finden kann. Hat ein solches Land einmal eine etwas höhere Inflationsrate als die Industrieländer, wird seine Währung zu einem Spekulationsobjekt für westliche Banken und Hedge Fonds, sobald das Land, in der Regel unter dem Druck der westlichen „Partner“, seine Kapitalmärkte vollständig öffnet.
Währungsspekulation
Dann passiert, was ich in meinem gerade von Westend neu aufgelegten Buch über „Preise, Zins und Wechselkurse“ im Detail beschrieben habe. Die westlichen Spekulanten – deren „investments“ man üblicherweise „emerging-market-investment“ nennt – beobachten, dass die Länder mit etwas höheren Inflationsraten auch höhere Nominalzinsen aufweisen als die westlichen Länder einschließlich Japans, wo die Zinsen schon seit vielen Jahren nahe bei null sind. Da die Notenbanken die Zinsen entsprechend der jeweiligen Inflationsraten festsetzen und jederzeit mit erheblicher Stabilität steuern, sind die Zinsdifferenzen zwischen den Schwellenländern und den Industrieländern ziemlich stabil.
Dann kommt ein einfaches Geschäftsmodell zum Zuge, bei dem man sich Geld in einem Land mit niedrigen Zinsen leiht und es in ein Land mit hohen Zinsen transferiert. Carry trade nennt man diese Art von „Investment“, die natürlich nichts mit Investitionen zu tun hat, sondern eine rein spekulative Anlage ist, deren Laufzeit von wenigen Minuten bis zu einigen Monaten reichen kann.
Überschwemmen viele Hedgefonds und Banken ein Land mit solchen „Investitionen“, sind die wirtschaftlichen Folgen für das Entwicklungs- oder Schwellenland in der Regel katastrophal. Was zunächst gut aussieht nach dem Motto „Die westlichen Kapitalgeber haben Vertrauen in unser Land und in unsere Währung“ erweist sich nach ein paar Jahren als tickende Zeitbombe. Die schiere Masse an anlagesuchendem Kapital, die japanische Yen in türkische Lira tauscht, führt nämlich zu einer Aufwertung der Lira. Im Lichte einer solchen Aufwertung sonnen sich zunächst unwissende Notenbanker und Politiker, weil sie die Konsequenzen nicht begreifen bevor sie eingetreten sind.
Das Land braucht alles, aber keine Aufwertung. In der Tat, es braucht eine Abwertung seiner Währung, weil es wegen seiner relativ hohen Inflationsrate an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den westlichen Industrienationen verloren hat und weiterhin verliert. Eine reale Aufwertung, also ein absoluter Verlust von Wettbewerbsfähigkeit, ist für jedes Land mit offenen Grenzen auf Dauer unerträglich.
Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht. Die reale Aufwertung bringt einen Verlust von Marktanteilen auf den globalen Märkten mit sich und zeigt sich früher oder später auch in einem steigenden Leistungsbilanzdefizit. Nun ist es nur noch eine Frage der Zeit und einer besonderen Gelegenheit, dass die internationalen Spekulanten misstrauisch werden und Hals über Kopf und wortwörtlich über Nacht das Land verlassen, was heißt, dass sie ihre Gelder abziehen und folglich Lira gegen Dollar oder Euro verkaufen.
Das hat in der Regel zur Folge, dass die Währung des Schwellenlandes auf dramatische Weise einbricht und droht, viel weiter abzuwerten, als das angesichts des vorherigen Verlusts von Wettbewerbsfähigkeit notwendig wäre. Nun aber gehen dem Land die Mittel aus, mit denen man eine solche Spekulation stoppen kann. Die spekulative Aufwertung hätte man (so wie die Schweiz das lange Zeit gemacht hat) durch Intervention der Notenbank stoppen können, weil dafür die eigene Währung in beliebiger Menge zur Verfügung gestanden hätte. Um eine Abwertung zu bremsen (die eigene Währung zu kaufen) braucht man aber fremde Währung, die man immer nur in begrenzter Menge zur Verfügung hat.
Interveniert man nicht, bleibt nur der Versuch, den die türkische Notenbank unternommen hat, nämlich mit Zinserhöhungen wieder so attraktiv für die internationalen „Anleger“ zu werden, dass die Abwertung und der „Vertrauensschwund“ gestoppt werden können. Genau das wollte Erdogan nicht, weil er – zu Recht – befürchtete, dass man damit die heimische Wirtschaft auch noch in große Schwierigkeiten bringt. Erdogan hat allerdings nicht begriffen, dass man einer solchen Situation nur dann entkommen kann, wenn es gelingt, die Kapitalströme durch staatliche Eingriffe zu bremsen und die heimische Inflation durch unorthodoxe Lohnpolitik zu verlangsamen.
Die internationale Gemeinschaft versagt
Wer sich in dieser Welt in einer solchen Krise jedoch hilfesuchend an die westlichen Länder wendet, wird umgehend auf den Internationalen Währungsfonds verwiesen, der jedoch, wie man es immer wieder erlebt hat, nicht die westliche Spekulation als Quelle des Übels ausmacht, sondern „selbstverständlich“ die heimische „Schlamperei, die Korruption und die mangelnde Freiheit des Wirtschaftens“ in dem betroffenen Land.
Folglich wird jedes hilfesuchende Land mit neoliberaler „Reformpolitik“ so lange traktiert, bis die Abwertung ihre Aufgabe erfüllt und das Land wieder aus der Krise geführt hat. Auch hier hat Erdogan Recht, wenn er versucht, den IWF aus der türkischen Krise herauszuhalten.
Letztlich aber versagt die internationale Gemeinschaft, die nicht begreifen will, dass man Entwicklungs- und Schwellenländer nicht in die Öffnung aller ihrer Märkte drängen kann, ohne ihnen ein funktionierendes globales Währungssystem anzubieten. Bretton Woods war im Prinzip ein solches System. Man müsste die institutionellen Vorkehrungen zwar an die heutigen Verhältnisse anpassen, aber ansonsten brauchen die sich entwickelnden Länder eine stabile und von Spekulation freie Währungsordnung. Das ist offensichtlich nicht im „Interesse der westlichen Welt“, die unter dem Druck der Finanzlobby alles tut, um den Spekulanten ein freies Feld für ihre kontraproduktiven Aktivitäten zu bieten.