Die Macht der Digitalkonzerne
Das Ausmaß der digitalen Risiken ist noch nicht einmal annähernd klar geworden. Das zeigt auch die aktuelle Diskussion um die Sperrung von Trumps Twitter-Account und um die Frage, inwieweit Unternehmen die Macht haben dürfen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Gleichzeitig verdienen die modernen Digitalmonopolisten Apple, Amazon, Facebook oder Google Milliarden mit dem Verkauf unserer persönlichsten Daten. Ohne entsprechende Aufklärung oder gar Gegenleistung verkaufen sie private Informationen, die auch zur Überwachung und Manipulation missbraucht werden. Mit der Worthülse Digitalisierung haben die Datenmonopolisten eine neue Superideologie erfunden, die alles rechtfertigt was sie tun. Marie-Luise Wolff weiß um die immensen Chancen der aktuellen Dynamik – umso mehr kritisiert sie die Entwicklung zu einer sinnlos durch-digitalisierten Wirtschaft und ent-analogisierten Gesellschaft. Sie fordert ein radikales Umdenken und ein Ende der Anbetung digitaler Trugbilder, die weder Fortschritt noch Werte schaffen.
Die großen Plattformkonzerne Google, Facebook und Amazon versuchen, neben ihren Werbegeschäften immer mehr analoge Leistungen aufzusaugen, und ihnen ist über die mobilen Smartphones ein weitgehender Einfluss auf das Leben aller Menschen zugefallen. Ihre Entwicklung wird weitergehen, und sie haben mittlerweile die Macht und die Kraft, große Teile des europäischen Dienstleistungssektors buchstäblich zum Frühstück zu verzehren. Die Plattform zum Buchverkauf wird das Einfallstor für den Allesverkauf. Die Plattform für die Suchmaschine oder das soziale Medium wird der Zugang zur gesamten Lebensorganisation. Dies betrifft sehr stark auch den analogen Sektor der Wirtschaft, der in Teilen gelähmt erscheint und immer noch unter dem Eindruck steht, es sei für eine eigene Agenda ohnehin zu spät, weil man die großen Plattformen nicht mehr einholen könne.
Die Erhebung der Digitalisierung zu einer Art Ideologie, die wir uns von den Digitalkonzernen haben einreden lassen, ist ein Grund für unsere Passivität. Wer kniet und den Rosenkranz betet, denkt nicht selbst und wird nicht aktiv. Sollten wir diese Passivität beibehalten und sollte die Europäische Union die Geschäftsmodelle der Plattformierer nicht mit deutlich schärferem Datenschutz belegen, werden sie sich rasch in immer mehr Bereiche des Handels und der Dienstleistung hineinfressen. Bereits bei Amazon in Planung ist die Ausweitung in die Welt der Medizin, der Pharmazie und der Drogerie sowie der Versicherungen und der gesamten Logistik. Jeglicher Facheinzelhandel steht ohnehin unter Amazon-Bedrohung, aber auch der gesamte Veranstaltungs- und Unterhaltungsbereich ist meines Erachtens ohne Weiteres durch eine reine Online-Organisation zu ersetzen. Da der gesamte Ticketsektor eine natürliche Nähe zu digital kompetenten Anbietern hat, läuft jeder Bereich, der Erneuerungen schon lange hat vermissen lassen, Gefahr, online-technisch übernommen zu werden: Ob Hotellerie, Tourismus, Flüge, ob Konzerte oder andere Großveranstaltungen, auch Messen, Kongresse und Konferenzen gehören dazu.
Ungestört von Kartellämtern haben alle drei großen amerikanischen Digitalkonzerne immer wieder ihre eigenen Wettbewerber vom Markt gekauft und sind zu Weltmonopolen herangewachsen. Die Wiedergeburt von Monopolen durch die Digitalisierung im 21. Jahrhundert ist ein gesellschaftlicher Rückschritt und das Ergebnis fehlender regulierender Eingriffe fast überall auf der Welt. Dringend sind die neuen Monopole durch ausgeweitete Datenschutzrechte auf Seiten der Nutzer sowie durch Kartell- und Steuerrecht in ihrem Wirken und ihrer Macht einzugrenzen.
Neben den volkswirtschaftlichen Schäden durch die Plattformindustrie gilt es, zahlreiche empfindliche gesellschaftliche Schäden, die durch den Umgang mit Plattformen entstehen, zu bekämpfen. Die Suchtgefahr, die von Smartphones und sozialen Medien ausgeht, ist bisher nur ansatzweise erforscht, aber bereits überall erlebbar: Fast kein persönliches Gespräch kommt mehr ohne die Anwesenheit eines Handys aus. Der Mangel an Bildung, Kreativität und psychischer Widerstandskraft, das Verlernen von Gesprächen, Empathie und Verständigung, die daraus für nachfolgende Generationen erwachsen, wird noch viel zu wenig thematisiert. Wie beende ich die Macht meines Smartphones über mich? Wie komme ich aus dem ständigen Multitasking heraus? Wie schaffe ich es, wieder komplexe Gespräche zu führen, die nicht mehr um die täglichen Newsfeeds meines Handys kreisen? Dazu wird der Staat uns kaum strukturell helfen können. Es sind Regeln untereinander zu verabreden und einzuüben – zu Hause und auch am Arbeitsplatz.