/Kommentare/Die dunklen Mächte hinter der Dunkelmacht

Die dunklen Mächte hinter der Dunkelmacht

Immer mehr Menschen haben berechtigte Zweifel an der offiziellen Version, die beiden NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hätten sich gegenseitig in ihrem Wohnmobil erschossen. Die zahlreichen Ungereimtheiten und Vertuschungen nicht nur bei dieser Geschichte haben das Misstrauen in die deutschen Dienste stark anwachsen lassen. In seinem Politthriller „Dunkelmacht“ strickt Harald Lüders nun keine Verschwörungstheorie, wie es wirklich gewesen sein könnte, sondern erzählt rund um die NSU-Mörder eine spannende, hochpolitische Story. Nicht mehr und nicht weniger. Sein intelligent inszenierter Thriller zur Flüchtlingskrise und zu den NSU-Morden ist eine Reality-Fiktion – doch die geschilderten Fahndungspannen und radikalrechten Verstrickungen von Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz sind allzu bittere Wirklichkeit.

Ein Krimi ist ein Krimi ist ein Krimi. Ein guter Krimi muss unterhalten, den Leser fesseln, Spannung erzielen und halten. Das gilt für jeden Krimi, sowohl für den Klassiker, in dem der Leser den Mörder sucht und zunehmend nicht mehr sicher sein kann, dass es der Gärtner ist, als auch gleichermaßen für politische Krimis. Auch hier geht es um Spannung, allerdings vor einem anderen Hintergrund: nämlich dem der Wirklichkeit.

In einem Politthriller werden selten Beziehungstaten abgebildet, werden keine geheimnisvollen Morde in reizvollen Landschaften begangen, sondern es geht um eine möglichst geschickte Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit. Fast immer sind sie angesiedelt im Milieu der Mächtigen, in der Politik. Diese Art Krimi ist in Deutschland längst nicht so weit verbreitet wie im angelsächsischen Raum. In den USA werden völlig selbstverständlich reale Institutionen und echte Figuren der Zeitgeschichte benutzt, um spannende Geschichten zu erzählen. Diese Krimis verweben eine fiktionale Handlung mit einem realen Hintergrund und erzählen so aktuelle, kontroverse, sehr politische Geschichten.

Dunkelmacht thematisiert das Misstrauen gegenüber unseren Geheimdiensten. So glaubt kaum ein deutscher Journalist an die offizielle Version, die über das Ende der beiden NSU-Mörder Böhnhardt und Mundlos verbreitet wird: Nach einem erfolgreichen Banküberfall sollen sich die beiden in einem Wohnmobil gegenseitig erschossen haben. Richtig ist aber auch, dass es bislang keinem deutschen Journalisten gelungen ist, eine andere, plausiblere Version der Ereignisse in dem legendären Camper zu beweisen.

In seiner Rezension in der Welt schreibt Elmar Krekeler: „… diese Urszene des Misstrauens in die Legalität der deutschen Inlandsgeheimdienste ist die Urszene von Dunkelmacht.“ Der Kritiker hat Recht: Die NSU-Affäre hat das Vertrauen der Zivilgesellschaft in die Arbeit des Verfassungsschutzes nachhaltig gestört. Mehr als einmal haben sich Verfassungsschützer, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, über klare Anordnungen von diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen hinweggesetzt und munter Akten geschreddert.

Jeder deutsche Fernsehzuschauer bewundert Sonntag für Sonntag im „Tatort“ die akribische Arbeit der Spurensicherung. Im NSU-Camper hingegen wurden mutwillig Spuren vernichtet, verschwanden Tatortfotos. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.

Die Hauptfigur aus Dunkelmacht, der Journalist Mitch Berger, sichtet an einer Stelle das berühmte Überwachungsvideo aus der Kölner Keupstraße, aufgenommen am Tag des Bombenanschlags auf die türkische Community. Zitat: „Das Video zeigt zwei schmale junge Männer mit kurzen Haaren und T-Shirts, die zwei Fahrräder durch die Straße schieben, im Korb des einen die Bombe. Wer dieses Video sorgfältig betrachtet, der kann einfach nicht begreifen, wie deutsche Kriminalbeamte angesichts dieser Bilder auf die Idee kamen, die Täter im Umfeld der türkischen organisierten Kriminalität zu suchen. Die beiden Männer auf dem Video sahen nicht aus wie kurdische Heroin-Pusher, sie sahen auch nicht aus wie türkische Nachtclubbesitzer. Sie sahen aus wie typische deutsche Neonazis.“

Eine Behörde, die sich in einer Krise so verhält, wie es der Verfassungsschutz in der NSU-Affäre tat, darf sich nicht wundern, wenn ein fiktiver Mitarbeiter der Behörde plötzlich die Hauptrolle in einem Krimi bekommt. Ebenjener Mitch Berger kommt zu folgendem Urteil: „Die ganze NSU-Chose stinkt zum Himmel. Zu viele Zufälle, zu viele Fehler. Geht man jedoch vom Versagen oder gar von aktiver Hilfe einiger Behörden aus, dann wird aus den wirren Puzzleteilen plötzlich ein Bild. Sollten deutsche Dienste tatsächlich rechten Mördern geholfen haben? Für Mitch nur schwer vorstellbar, verflucht, das hier ist die Bundesrepublik Deutschland, wir sind Weltmeister und lesen den Spiegel, wir sind keine Bananenrepublik. Aber nur mit dieser Arbeitsthese werden Konturen eines klareren Bildes sichtbar.“ Ende des Zitats, willkommen in der Wirklichkeit.

Sind deutsche Dienste, ist die deutsche Polizei auf dem rechten Auge blind? Warum wurden so lange sich verfestigende rechtsradikale Strukturen in den neuen Bundesländern übersehen? Warum wurde in Sachsen so lange über die lokale Macht von Gruppen wie den Skinheads Sächsische Schweiz geschwiegen? Sind unsere Sicherheitsapparate auf dem rechten Auge blind?

Ein Blick zurück hilft bei der Antwort. Wie lange durfte in den siebziger Jahren die Wehrsportgruppe Hoffmann durch deutsche Wälder robben, bis sie endlich 1980 verboten wurde? Wie schnell stand fest, dass der aus der Wehrsportgruppe kommende Attentäter, der auf dem Oktoberfest im September 1980 dreizehn Menschen tötete, ein verwirrter Einzeltäter war? Sehr schnell, auffällig schnell.

Bösartige Menschen könnten die Gründe für diese Unschärfe in der Wahrnehmung des rechten Randes der Gesellschaft in der deutschen Geschichte vermuten. Dem früheren BKA-Chef Jörg Ziercke verdankt die deutsche Öffentlichkeit spannende Einblicke in die Gründungsgeschichte des Bundeskriminalamtes. Er erlaubte dankenswerter Weise Historikern Einblicke in die Akten des BKA. Mit Ergebnissen, die auch heute noch erschrecken. Im Organigramm des BKA von 1954 gibt es unter dem Präsidenten und seinem Vertreter 38 Abteilungsleiter. Von diesen 38 sind 24 ehemalige SS-Angehörige. Mehr noch, man findet immerhin sechs Mitglieder der berüchtigten Einsatzgruppen, die in Polen und Russland hinter der Front ihr Unwesen trieben. Immerhin fünf Abteilungsleiter des BKA hatten früher in exakt der gleichen Funktion im Reichssicherheitshauptamt gearbeitet, in jenem Amt also, in dem Heinrich Himmler den Holocaust planen ließ. Einer der SS-Männer soll hier namentlich genannt werden: der frühere Untersturmführer Paul Dickopf, der lange Zeit die Nummer zwei des BKA war und von 1965 bis 1971 als Präsident des Amtes schaltete und waltete. Wer glaubt, sein Einfluss endete im Jahre 1971, der unterschätzt das Beharrungsvermögen von Apparaten. Wer fast zwanzig Jahre lang eine Behörde prägte, der hat die nächste Generation von Leitern handverlesen, dessen Geist bestimmt weit über die eigene Amtszeit hinaus das Innenleben und die Moral eines Hauses.

Dunkelmacht

Harald Lüders
Dunkelmacht
Thriller

Harald Lüders

Harald LüdersHarald Lüders hat über dreißig Jahre als Autor, Reporter und Redakteur für das Fernsehen gearbeitet. Zuletzt war er für das ZDF als Redaktionsleiter Reportage tätig. Er hat sich journalistisch immer wieder mit Geheimdiensten, Rechtsradikalismus und Integrationsfragen befasst. Er wurde unter anderem mit dem Grimme-Preis und dem "Certificate of Special Merit" der Academy of Motion Picture Arts and Sciences in Los Angeles ausgezeichnet. Im Westend Verlag erschienen seine Thriller "Dunkelmacht" und "Traumtunnel".

Bleiben Sie auf dem Laufenden

Ein- bis zweimal monatlich informieren wir Sie über Neuerscheinungen, aktuelle Kommentare und weitere interessante Aktionen

Overton Magazin