Die AfD und die Erben Thilo Sarrazins und Baron August von Fincks
In ihrem Buch „Rechtspopulisten im Parlament“ zeigen Gudrun Hentges, Christoph Butterwegge und Gerd Wiegel, dass sich das Politikfeld der Migrations-, Asyl- und Flüchtlingspolitik im Zentrum der Reden, Anträge sowie der Anfragen der AfD befindet. Demnach befasst sich ein Großteil der parlamentarischen Initiativen mit dem Thema Flucht und Asyl. Ein Kommentar von Gudrun Hentges gut ein Jahr nach Einzug der AfD in den Bundestag.
Die AfD verknüpft das Themenfeld „Flucht und Asyl“ systematisch mit anderen: So werden Geflüchtete verantwortlich gemacht für Kriminalität, Drogen, Prostitution, Islamismus und Gewalt, Arbeitslosigkeit und Armut, Wohnungsnot, Gewalt gegen Frauen, Antisemitismus, Krankheiten, Seuchen und Epidemien – ja selbst für Schwerbehinderungen wird die Zuwanderung verantwortlich gemacht. Auch die demographische Entwicklung Deutschlands, die Reproduktionsquote, wird häufig darauf zurückgeführt, dass Flüchtlinge angeblich die Wohnungen besetzen, Deutsche aus diesem Grund keine mehr in Städten bekämen und demnach nicht dazu in der Lage seien, Familien zu gründen. Vor allem Gottfried Curio, innenpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Bundestag, formuliert diesen Vorwurf: „Hier wird Familiengründung erschwert, wenn der Wohnungs- und Arbeitsmarkt für gering Qualifizierte von syrischen Großfamilien belagert wird. Auch Geld für Sozialleistungen kann man nur einmal ausgeben.“
Die Polemik, Agitation und Propaganda der AfD funktioniert nach einem einfachen Muster: Es geht nicht um ein „Oben und Unten“, sondern um ein „Innen und Außen“. Es gibt keine soziale Ungleichheit, keine Aufteilung der Bevölkerung in Arme und Reiche, sondern eine Aufteilung in ein „Innen und Außen“. Dreh- und Angelpunkt der Argumentation ist immer wieder das „deutsche Volk“ als naturgegebene Essenz und moralische Größe. Und dieses deutsche Volk muss gegen seine Angreifer verteidigt werden. In diesem Sinne steht die AfD in der Tradition der völkischen Bewegung – und den Vordenkern aus dem Lager der Konservativen Revolution.
Der erste Antrag, den die AfD im Deutschen Bundestag einreichte, lautete „Förderung der Rückkehr syrischer Flüchtlinge“. Darin behauptete die AfD, dass Syrien in weiten Teilen wieder sicher sei. Ausgehend von der verbesserten Sicherheitslage sollte die Bundesregierung nun Verhandlungen mit Assad aufnehmen, um mit ihm ein Rückkehrabkommen auszuhandeln. Den syrischen Rückkehrern sollte Assad eine humanitäre Versorgung zusichern, die Bundesregierung sollte den syrischen Rückkehrern Anreize in Form von Start- und Aufbauhilfen zusichern. Dieser Antrag, der am 13. November 2017 eingereicht worden ist, ließ vor gut einem Jahr schon deutlich werden, welche Marschrichtung die AfD in Sachen Flucht und Migration einschlägt: Sie will der Bevölkerung vorgaukeln, dass es nur Verhandlungen mit dem Diktator Assad bedürfte, um nach und nach alle syrischen Flüchtlinge nach Syrien zu deportieren. Die Anti-Asyl-Haltung der AfD spiegelt sich auch in der Sprache wider: So spricht Gottfried Curio nicht von Flüchtlingen oder Geflüchteten, sondern von Migranten, Wirtschaftsmigranten, Quartiermachern. Er schreckt auch vor der Verwendung des Begriffs „Asylanten“ nicht zurück und nimmt bewusst in Kauf, dass dieser Begriff negativ konnotiert ist.
Schauen wir uns die Äußerungen der AfD an, so wird deutlich: Politiker/innen der AfD schrecken keineswegs davor zurück, das N-Wort auszusprechen, sei es in Bezug auf den Sohn von Boris Becker oder sei es mit Blick auf den früheren Präsidenten der USA, Barack Obama. In den Reden der AfD fallen Begriffe wie „Lumpenproletariat der afro-arabischen Welt“ (Frauke Petry), AfD-Funktionäre beleidigen Jérôme Boateng (Alexander Gauland) oder auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Özoguz (Alexander Gauland), sie sprechen von „Kümmelhändlern“ und „Kameltreibern“ (André Poggenburg) oder von „kulturfremden Völkern, von denen Deutschland überschwemmt werde“ (Alice Weidel). Eine Zusammenstellung aller Äußerungen käme einem Wörterbuch des Unmenschen gleich. Solche Äußerungen sind keine Ausrutscher. Es handelt sich um gezielte Provokationen, gezielte Grenzüberschreitungen und bewusst einkalkulierte Tabubrüche.
Auch wenn der alte biologistische Rassismus seit den 1990ern abgelöst worden ist durch einen neuen kulturalistischen Rassismus bzw. durch einen „Rassismus ohne Rassen“, so hat man bei der AfD den Eindruck, sie habe sich in das späte 19. Jahrhundert oder in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückkatapultiert. Vor allem Björn Höckes Rede von den verschiedenen „Reproduktionstypen“ der sog. Menschenrassen strotzt nur so von einem biologistischen Rassismus. Überschrieben mit „Ansturm auf Europa“ warnt er vor einer sich über Deutschland ergießenden „Asylantenflut“. Um diese Behauptung pseudowissenschaftlich zu untermauern, bedient er sich eines Modells, das von US-amerikanischen Ökologen entwickelt worden ist, um die Besiedlung neuer Lebensräume durch Säugetiere zu verstehen. Unterschieden wird die K-Strategie von der r-Strategie (K steht für Kapazitäten und r für Reproduktion). Als Beispiel für die r-Strategie hatten die beiden US-Amerikaner Grasfrösche angeführt, die hunderte von Eiern legen, um möglichst viele Nachkommen zu zeugen. Höcke wandte den Begriff dann auf Afrikaner_innen an – eine rassistische Analogie, die afrikanische Menschen dehumanisiert und als Invasoren qua Reproduktion konstruiert. In Bezug auf den biologistischen Rassismus ist Höcke die Spitze des Eisbergs. In den Reden, Anträgen und Anfragen finden sich zahlreiche weitere Beispiele für die Verbreitung des Rassismus.
Immer wieder wird deutlich, dass sich die AfD hier auch an Thilo Sarrazin orientieren kann, der in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ (2010) die steile These vertreten hat, Muslime verfügten über einen geringeren Intelligenzquotienten und insofern sei das Absinken des durchschnittlichen IQ in Deutschland auch eine Folge der Einwanderung. Höcke wurde nicht aus der AfD ausgeschlossen und fungiert immer noch als Vorsitzender des AfD-Landesverbands Thüringen.
In den Äußerungen von AfD-Politiker_innen lassen sich auch zahlreiche antisemitische Aussagen finden. Am bekanntesten ist sicherlich das Beispiel Wolfgang Gedeon. Der Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg hatte sich zu der folgenden Aussage verstiegen: „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes (…). Als sich im 20. Jahrhundert das politische Machtzentrum von Europa in die USA verlagerte, wurde der Judaismus in seiner säkular-zionistischen Form sogar zu einem entscheidenden Wirk- und Machtfaktor westlicher Politik. (…) Der vormals innere geistige Feind des Abendlandes stellt jetzt im Westen einen dominierenden Machtfaktor dar, und der vormals äußere Feind des Abendlandes, der Islam, hat via Massenzuwanderung die trennenden Grenzen überrannt, ist weit in die westlichen Gesellschaften eingedrungen und gestaltet diese in vielfacher Weise um.“
Dieses Denken in Kategorien von „Freund-Feind“ orientiert sich sehr stark an Carl Schmitt, einem der wichtigsten Vertreter der Konservativen Revolution. Wolfgang Gedeon stellt das Feindbild Judentum also nicht in Frage und zweifelt gegen alle Forschungsergebnisse sogar an, dass die antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“ eine Fälschung waren. Ebenso wie Höcke wurde auch Wolfgang Gedeon nicht aus der AfD ausgeschlossen und kooperiert heute als fraktionsloser Abgeordneter mit der AfD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg.
Seit Gründung der AfD im April 2013 kursierten immer wieder Gerüchte über deren Finanzierung. Seit dem 24. November 2018 sind die sprudelnden Finanzquellen bekannt: Der Euro-Gegner und Milliardär Baron August von Finck (88), der seit 1999 in der Schweiz lebt, hat die AfD von Beginn an finanziert (vgl. Der Spiegel vom 24.11.2018 und https://lobbypedia.de/wiki/August_von_Finck). Ausgerechnet die AfD, die sich als Anti-Establishment-Partei zu inszenieren versucht und die von sich behauptet, von Spenden aus der Wirtschaft oder von Privatpersonen unabhängig zu sein, wäre möglicherweise ohne die großzügige Spende des Schweizer Milliardärs nicht so erfolgreich gewesen. Bemerkenswert: August von Finck senior, der Vater des Schweizer Milliardärs, zählte zu den ersten Bewunderern von Adolf Hitler und trat 1933 der NSDAP bei. Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich 1938 profitierte seine damalige Privatbank Merck Finck & Co. von der Arisierung. Er übernahm neben dem Wiener Privatbankhaus S. M. v. Rothschild auch die Berliner Bank J. Dreyfus & Co (vgl. zu August von Finck senior: Klee 2005, S. 150; Köhler 2008, S. 306 ff.).
In der bundesdeutschen Bevölkerung gibt es durchaus ein Zustimmungspotential zu einem offenen Rassismus. Genau dieses versucht die AfD mit ihrer Polemik und ihren Provokationen zu bedienen. Dass diese menschenfeindliche und demokratiefeindliche Polemik, Agitation und Propaganda u.a. von einem Profiteur der Arisierung jüdischen Eigentums finanziert wird, scheint die AfD nicht weiter zu irritieren.