/Kommentare/Die AfD als demagogische Bewegung: Ihr Weg zum Rechtsradikalismus ist kein Zufall

Die AfD als demagogische Bewegung: Ihr Weg zum Rechtsradikalismus ist kein Zufall

Die AfD steht aktuell vor dem größten Erfolg in ihrer jungen Geschichte. Und dies, obwohl sie sich immer mehr zu einer rechtsradikalen Partei wandelt. Ursprünglich verstand sich die AfD als eine nationalkonservative Protestpartei, es ging um die Handhabung der sogenannten Eurokrise. Aber seit ihrer Gründung 2013 ist die AfD in mehreren Schritten immer mehr nach rechts gewandert. Heute ist die AfD-Spitze nicht willens, dem Treiben des rechten Randes Einhalt zu bieten, Unterschiede zur Pegida sind kaum noch auszumachen. Wie kann man diese Entwicklung verstehen? Ein Kommentar von Walter Ötsch.

In unserem Buch „Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung“ stellen wir die AfD in eine Reihe mit Donald Trump, Marine Le Pen, Gert Wilders, der Freiheitlichen Partei Österreichs, Viktor Orbán und Jarosław Kaczynski. In diesen unterschiedlichen „Bewegungen“ gibt es – das zeigen wir sehr klar – einen einzigen Grundgedanken. Er begründet ein demokratiegefährdendes Moment, das auf einer eskalierenden Spirale beruht, die zu einer immer größeren Radikalisierung drängt.

Die Politik von Populisten beruht im Kern auf einem selbstgestrickten Bild der Gesellschaft, das zwei gleichartige Gruppen behauptet. Hier sind WIR und dort sind die ANDEREN. Auf der einen Seite »das Volk«, auf der anderen »die Elite«. US-Präsident Donald Trump hat in seiner Antrittsrede versprochen: »Wir nehmen die Macht von Washington D.C. und geben sie an euch, das Volk, zurück.« Die AfD und die Pegida vereint der Spruch „Wir sind das Volk“, Björn Höcke versteht sich als „die Stimme des Volkes … gegen eine, und das muss ich ganz deutlich sagen, verrückt gewordene Allparteienpolitik“. Die anderen Parteien müssen dabei in einen Topf geworfen werden, denn sie vertreten nur »die Elite«, – Sigmar Gabriel ist für Höcke ein „Volksverderber, anders kann ihn nicht nennen.“

Das Bild von zwei Gruppen in der Gesellschaft ist eine reine Behauptung. Um so denken zu können, muss man Unvereinbares in einen Topf werfen und Unterschiede heroisch ausblenden. Man muss zum Beispiel bei den ANDEREN drei Teile vereinen: DIE DA OBEN (die Regierung, die EU, die Bürokratie in Brüssel, die Finanzkonzerne, die Geldelite, …), DIE DA DRAUSSEN (die Ausländer, die Flüchtlinge, die Islamisten, …) und DIE DA UNTEN (die Sozialschmarotzer, die Leistungsverweigerer, …) muss man zu einer einzigen gleichartigen Gruppe zusammendenken: Das sind die ANDEREN, die UNS in ihrer Gesamtheit bedrohen. Es existieren zum Beispiel für die AfD keine verschiedenen Eliten, die vielleicht unterschiedliche Interessen verfolgen und gegeneinander agieren. Im Gegenteil: Es gibt nur eine einzige Elite, die in ihrer Gesamtheit bösartig ist. Diese Elite hat sich gegen »das Volk« verschworen: »Es ist ein politisches Kartell, das die Schalthebel der staatlichen Macht und die gesamte politische Bildung eisern im Griff hat. Nur das Volk kann diesen selbstherrlichen Gewaltinhabern die illegitime Macht wieder entreißen«, – so steht es im Parteiprogramm der AfD.

Der springende Punkt ist, dass die WIR, »das Volk«, und die ANDEREN, zum Beispiel »die Elite«, willkürliche Erfindungen sind. Dieses erfundene Bild ist die Basis und der Kern des Populismus, wir sprechen von Demagogie: die Verführung des Volkes (der bunten Bevölkerung) mit Hilfe der Figur »des Volk« als homogener „Volksgemeinschaft“. Auf dieser Basis können die Sprache, die Taktiken, die innere Organisation und das langfristige Interesse aller Demagogen schlüssig verstanden werden. Sprachlich entfalten sich drei Diskurse, die man zum Beispiel an der AfD klar erkennen kann:

  1. Ein Moraldiskurs: »Das Volk« ist immer moralisch integer, »die Elite« ist ausschließlich korrupt.
  2. Ein Wahrheitsdiskurs: »Das Volk« spricht immer die Wahrheit, »die Elite« lügt andauernd.
  3. Ein Schulddiskurs: »Das Volk« ist immer das Opfer, »die Elite« sind immer die Täter.

Mit WIR und den ANDEREN kann man alles in der Politik erklären. Für jedes Problem gibt es Schuldige, überall können namentlich genannte Sündenböcke ausfindig gemacht werden, – die idealen Sündenböcke sind zur Zeit »die Ausländer«. In letzter Konsequenz resultiert der fiktive Kampf der WIR gegen die ANDEREN in einer gigantischen Verschwörung: DIE haben sich gegen UNS verschworen, die AfD ist dazu da, diese Verschwörung aufzudecken und zu beseitigen. Dabei geht es nicht nur um politische (konservative) Inhalte, sondern um die Intention, »das System« zur Gänze zu transformieren, Schritt für Schritt: Soziale Fragen werden als nationale Fragen reformuliert, die ökologische Problematik wird geleugnet (für die AfD stammt der Diskurs um die Klimaerwärmung aus einer Verschwörung von Politikern und Wissenschaftler), ein Sicherheits- und Überwachungsstaat angestrebt, die Bevölkerung soll mit stetigen „Volksabstimmungen“ beschäftigt werden, …

Mit „WIR gegen die ANDEREN“-Bild sind notwendig eskalierende Spiralen verbunden. Kein Machtzuwachs kann das stoppen, im Gegenteil: Mehr Einfluss führt zur nächsten Eskalation. Wenn die Parteien zum Beispiel die Forderung der AfD nach einem Stopp des Zustroms von Asylsuchenden erfüllen (was aktuell geschehen ist), dann kann und werden Demagogen und Demagoginnen niemals zufrieden sein: Es kann keine realen Bedingungen geben, die ein erfundenes Bild von der Gesellschaft zum Einsturz bringen können. Jetzt muss die nächste Forderung erhoben werden, zum Beispiel müssen »den Ausländern« alle »Privilegien« genommen werden, und so weiter. Wie Eskalationen dieser Art weitergehen, kann aktuell  in den USA, in Polen und in Ungarn beobachtet werden. In Ungarn ist dieser Prozess am weitesten fortgeschritten. Die Pressefreiheit ist eingeschränkt, alle wichtigen Kontrollorgane eines demokratischen Staates sind mit Vertrauensleuten der FIDESZ-Partei von Orbán besetzt: der Rechnungshof, die Finanzmarktaufsicht, die Leitung der Exekutive, weite Teile der Justiz, wie etwa der Oberste Gerichtshof, die Medienbehörde, die öffentlich-rechtlichen Medien, die größten Kulturinstitutionen und die Nationalbank. Das Ungarn unter Orbán ist das Vorbild für die AfD.

Walter Ötsch

Walter ÖtschWalter Ötsch ist Professor für Ökonomie und Kulturgeschichte an der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung. Er forscht zur Geschichte des ökonomischen Denkens und zur Wirkungsgeschichte des Neoliberalismus. Er ist Kommunikationstrainer und gefragter Experte für Rechtspopulismus. Zusammen mit Nina Horaczek ist er Autor des Buches "Populismus für Anfänger. Anleitung zur Volksverführung ", das 2017 imWestend Verlag erschienen ist und zu einem viel beachteten Bestseller wurde.

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