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Der Pkw-Phönix aus der Pandemie

Kein Grundrecht wurde in der letzten Zeit mehr bemüht als das auf körperliche Unversehrtheit. Tatsächlich ist es ein hohes Gut und steht so im Grundgesetz auch ganz vorne. Auch das Verfassungsgericht rechtfertigte damit die Einschränkung andere Grundrechte in der Corona-Krise. Dies mag richtig sein. Man fragt sich nur, warum in Bezug auf den unmenschlichen und asozialen Autoverkehr dieses Grundrecht noch nie wirklich herausgehoben wurde, fragt sich Klaus Gietinger, Autor des Buches „Vollbremsung! Warum das Auto keine Zukunft hat und wir trotzdem weiterkommen“. Im Gegenteil, die Branche ruft erneut nach staatlicher Unterstützung.

Das Kfz ist ein Anschlag auf die körperliche Unversehrtheit des Menschen. Und der findet jeden Tag statt, weltweit, auf der Straße, in der Stadt, auf dem Land. 1,35 Millionen Menschen sterben jährlich global durch Kfz-Unfälle, etwa doppelt so viele rafft die autobedingte Luftverschmutzung hinweg und die Klimakatastrophe wird mehr und mehr vom motorisierten Individualverkehr verursacht. Milliarden Menschen wurden schon durch ihn geschädigt, ihre Gesundheit ruiniert.

Regen Anteil daran hat die deutsche Autoindustrie, die wie der Spiegel schon vor drei Jahren berichtete, als tatsächliches Kartell den Dieselbetrug regelrecht verabredete, in der Annahme es würde schon nicht rauskommen und die Regierung würde sie schon schützen. Das hat ja bislang jede deutsche Regierung (nicht erst seit 1949) getan. So kann das schwarz-rot-goldene Kartell, das 80 Prozent des Auto-Premiummarkes der Erde beherrscht, sich immer wieder auf die deutsche Exekutive stützen: Abwrackprämien, E-Autoprämien, Aussetzung von EU-Richtlinien, völlig verlogene Abgastests, Spritverbrauchsangaben und CO2-Werte, sowie Schutz vor Verfolgung. Alles immer unterstützt von einer gekauften Wissenschaft (bis in die Ökoinstitute hinein), wohlgesonnenen (teils gekauften Medien) und Zeitungen, die bis auf den heutigen Tag am Wochenende Autos auf Autoseiten redaktionell lobpreisen. Selbst Dieselgate, US-amerikanische Gerichte, die Klimakatastrophe, schon gar nicht FFF und als letztes die deutsche Rechtsprechung hinderten das deutsche Kfz-Kartell Milliardengewinne zu machen.

Dies alles funktionierte, weil eine immer noch und immer wieder autogeile gigantische Käuferschicht in Deutschland, in Europa und immer mehr auf der ganzen Welt und vor allen Dingen in Asien existierte. Da kam doch unerwartet eine Pandemie und einige Bänder standen still, einige Roboter mussten pausieren und die Autoindustrie 4.0 musste kurzzeitig als Industrie 0.0 in das stillgelegte Abgasendrohr schauen. In China brach der Hauptmarkt des deutschen Kfz-Kapitals um 90 Prozent weg. Weltweit auch in Deutschland wurden immer weniger Autos verkauft, sank die motorisierte Mobilität um nie für möglich geglaubte Werte.

Doch das Ende der Corona-Krise scheint absehbar. Und freilich will man jetzt staatliche Unterstützung, wie man sie noch immer in Krisen bekommen hat. Erste Ölkrise, zweite Ölkrise, Irakkrieg, Internetkrise und zuletzt Finanzkrise 2008/9. Immer sank der weltweite Ausstoß an Kfz um dann durch Konjunkturspritzen belebt, wenige Jahre später auf ungeahnte Werte zu steigen. So wird es wieder sein.

Unbenannt

 

 

 

 

 

 

 

 

Quelle: VDA, OICA, Wolf u. a.

Anstatt auf die Idee zu kommen, das Kartell zu zerschlagen oder ihm wenigstens vorzuschreiben, die Konversion voranzutreiben – die Umwandlung der Produktionskapazitäten in sinnvolle Produktpaletten: Züge, Trams, Trolleybusse, Solaranlagen, Windkraftwerke, Wasserräder, Fahrräder, E-Bikes, Pedelecs und und und … – wird der Dinosaurier Auto weiter durchs Dorf, Stadt und Land getrieben. Ja, in der ersten Runde hat man sich noch nicht getraut, Milliarden locker zu machen, aber die Drogenbarone und -kuriere des Autokartells werden solange keine Ruhe geben, bis die blödsinnigen Privat-E-Autos und Privat-Verbrenner-Kfz wieder bis zum Anschlag gefördert werden. Und das Kartell und seine Freunde können dann nach der größten Krise zum größten ökologischen Kahlschlag (wie zum Beispiel im bald baumlosen Harz) weltweit ausholen, Abermillionen Autos und Tote produzieren und die Menschheit mit höchsten Temperaturen beglücken. Der Motor ist noch warm und der Auspuff, aus dem das kriecht, noch lange nicht verstopft. Die Krise als Chance zum wirklichen Untergang. Gib Gummi.

Klaus Gietinger

Klaus GietingerKlaus Gietinger ist Drehbuchautor, Filmregisseur und Sozialwissenschaftler. Sein Kinofilm "Daheim sterben die Leut" ist Kult. Er schrieb und drehte "Tatorte", TV-Filme, Serien und Dokumentationen (zuletzt "Wie starb Benno Ohnesorg?") und erhielt dafür zahlreiche Preise. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u. a. "Eine Leiche im Landwehrkanal - Die Ermordung Rosa Luxemburgs", "Der Konterrevolutionär", "Totalschaden" oder "99 Crashes".

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