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Das nachhaltige Manifest

Die Lösungen, die wir heute für die sich bedrohlich nähernde Klimakatastrophe finden, werden entscheidend für das gesamte Leben auf dem Planeten Erde sein. Ein „Weiter so“ mit einer globalen Wirtschaft, die nur auf Gewinnmaximierung orientiert ist, mit einer Politik, die ständiges Wachstum predigt und einem Konsum, der den Eigennutz immer über die Auswirkungen auf Natur und Umwelt stellt, kann und darf es nicht mehr geben. Wenn wir nicht umgehend handeln und der Realität eines unaufschiebbaren ökologischen Umbaus unserer Gesellschaft ins Auge sehen, wird unser Planet nicht mehr zu retten sein. In seinem Manifest verliert Kersten Reich sich nicht in bloßem Alarmismus, sondern benennt konkret, was zu tun ist, um auch den nächsten Generationen ein gutes Leben auf dieser Erde zu ermöglichen.

Neben einer notwendigen Regulierung durch Vorschriften und Gesetze ist eine Bepreisung der fehlenden Nachhaltigkeit notwendig. In einer kapitalistischen Gesellschaft hat der Preis einen entscheidenden Einfluss auf das Kaufverhalten. In diesem Sinne müsste der Preis der schädlichen Dinge in dem Maße höher werden, in dem menschliches Verhalten der Umwelt, dem Klima, den Ressourcen der Welt und allen anderen Nachhaltigkeitsfaktoren schadet. Bei Produkten mit besonders schädlichen Auswirkungen sollte es zudem staatliche Verbote geben.

Preise sind für alle gleich und scheinen also gerecht zu sein. Aber sie sind es nicht, weil die Möglichkeit, sie zu bezahlen, von dem Geld abhängt, das gesellschaftlich sehr ungleich verteilt ist. Nehmen wir Flugreisen, die unter den derzeitigen Bedingungen besonders klimaschädlich sind. Eine vernünftige, nachhaltige Politik müsste Flugreisen sehr hoch besteuern und sie dadurch eindämmen. Zugleich wären umweltverträglichere Alternativen zu fördern und mit niedrigen Preisen zu versehen. Eine solche Maßnahme wäre aber zutiefst ungerecht für viele Menschen. Die, die bisher schon die Welt bereist haben, können sich entspannt zurücklehnen und sagen, gut, das alles habe ich schon gesehen. Aber jenen, die erst noch reisen wollen, die die Welt in ihrer Vielfalt erst noch entdecken möchten, würde mit teuren Flugreisen ein Verbot und Verzicht auferlegt werden. Das wird ihnen als ungerecht erscheinen. Und zugleich werden mit hohen Bepreisungen die Reichen wieder übervorteilt, denn sie können sich beispielsweise schon heute die für andere unerschwingliche erste Klasse leisten. Mit solchen Ungerechtigkeiten werden die Menschen in der Nachhaltigkeit jedoch leider leben müssen, weil es heute einfach keine Alternative gibt, wenn wir unseren Planeten noch retten wollen. Ein faires Verteilungssystem bei der Verteuerung und Verknappung der Möglichkeiten, ein System der Bezuschussung und des Ausgleichs könnte in Zukunft zum Programm von politischen Parteien werden, die hier nach einem sozialen Ausgleich suchen wollen. Oder ein faires Steuersystem in Verbindung mit den höheren Preisen. Gleichwohl wird die Menge schädlicher Handlungen strikt begrenzt werden müssen.

Es ist klar, dass die Menschen mit niedrigem Einkommen im bestehenden System die Nachhaltigkeitskosten nicht allein werden schultern können. Aber ebenso klar ist, dass die Verteilung des vorhandenen Reichtums schon länger völlig ungerecht erfolgt, es also viel Spielraum für Umverteilungen gibt. Höhere Löhne und bessere Einkommen der sozial bisher Benachteiligten sind notwendig, um die höheren Preise bezahlen zu können. Um Nachhaltigkeit für alle fair zu erreichen, wird es einer Reform des gesamten Verteilungssystems bedürfen, und die Reichen und Superreichen werden stärker beteiligt werden müssen!

Drei Maßnahmenkomplexe sind unvermeidlich, wenn die fehlende Nachhaltigkeit besiegt werden soll:

Erstens eine Erfassung aller Produkte, die besonders schädlich für die Treibhausgase und andere Aspekte der fehlenden Nachhaltigkeit sind. Die Erfassung und Bestimmung müssen unabhängig von Wirtschafts- und nationalen Interessen erfolgen und in der Folge zur Zertifizierung von ökologischen Produkten, Kennzeichnung von Umweltqualität wie Umweltsiegel und Nachhaltigkeitsbilanzen der betroffenen Produkte und Dienstleistungen dienen, um diese daraufhin mit Auf- oder Abschlägen in der Preisbildung zu versehen. Neben der Mehrwertsteuer könnte etwa eine Umweltsteuer für einzelne Schädigungsklassen ansteigend die Preise erhöhen. Der bisherige Emissionshandel ist dabei ein unzureichendes Instrument, weil er die Lasten in der Welt zu wenig nach überprüften ökologischen Gesichtspunkten und ungleich verteilt. Im Resultat der einzelnen Bestimmungen könnten die durch Aufschläge generierten Einnahmen dann gesetzlich geregelt in den Umwelt- und Naturschutz, etwa in die Aufforstung, über den Staat zurückfließen. Der erhöhte Preis ist für die Konsumenten zugleich eine Chance, durch die Verwendung eines Teils des Preises die negativen Wirkungen ihres Konsums auszugleichen.

Zweitens eine Bepreisung der Verschmutzung und Umweltvergiftung der Welt. Je höher die Schadstoffgrenzen überschritten werden, desto höher die Preise. Wenn die Grenzen stärker überschritten werden, dann sollte das mit hohen Geld- bis hin zu Gefängnisstrafen geahndet werden. Bepreist werden müssen auch die Zersiedelung und Versiegelung, Verletzungen im Arten- und Wasserschutz und beim Ressourcenverbrauch für nicht regenerierbare Rohstoffe. Die fehlende Nachhaltigkeit ist in den einzelnen Produkten oft nicht unmittelbar sichtbar, sie kann aber in ihrem Wirkungsgrad festgestellt und auch hier mit Zuschlägen nach Schädigungsklassen versehen werden. Zugleich müssten nachhaltige Alternativen verbilligt und gefördert werden, um eine alternative Produktion und Lebensweise zu stimulieren.

Drittens ließe sich auch eine menschenwürdige Arbeit oder Bezahlung in den Produktionsländern durch Zuschläge und eine Zertifizierung der fairen Produktion erreichen. Dies würde alle Länder zwingen, eigene Verbesserungen einzuleiten. Ein Klagerecht auf Nachhaltigkeit und Fairtrade in den Wohlstandsländern gegen die Firmen, die an solchen Produkten verdienen, wäre effektiver, als darauf zu warten, dass sich an den Ursprungsorten mit schlechten Produktionen etwas ändert. Um global im Sinne von Menschenwürde und nachhaltigen ökologischen Produktionen zu wirken, müssen wir national einklagbare Rechte erstreiten, die wir gegen eine zu liberale Wirtschafts- und Lobbypolitik durchsetzen können.

Soziale Sicherung der ärmeren Menschen

Die notwendige Bepreisung von nicht-nachhaltigen Gütern würde für die Einkommensschwachen gegenwärtig eine kaum zu stemmende Belastung bedeuten. Das heißt aber keinesfalls, dass sie nicht möglich ist – sie ist absolut unumgänglich! –, vielmehr heißt es, dass diese Menschen ein Einkommen erhalten müssen, das die höheren Kosten der Nachhaltigkeit auffangen kann. Der Kampf um mehr Nachhaltigkeit wird in der Bepreisung zu einem Kampf um soziale Sicherung für die Mehrheit der unteren Lohngruppen und Einkünfte. In der Nachhaltigkeitsdiskussion gibt es zahlreiche Ideen, wie dies erreicht werden könnte. Zunächst müssten die Löhne oder das Grundeinkommen in der sozialen Sicherung an die Kosten für den aktuellen nachhaltigen Warenkorb angepasst werden. Ohnehin steht aus, dass die soziale Schieflage in den Einkommen ausgeglichen wird, denn gesellschaftlich hat sich ein Niedriglohnsektor ausgebreitet, der viele Menschen in prekäre und unwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse treibt. Wenn durch Bepreisung eine nachhaltige Wende angestrebt wird, dann ist eine sozial-ökonomische Reform der Löhne und Einkommen besonders bei den prekären Verhältnissen unausweichlich. Die Nachhaltigkeitskrise hält der Gesellschaft einen Spiegel ihrer ökonomischen Schieflage vor!

Kersten Reich

Kersten ReichProf. Dr. Kersten Reich ist als Lernforscher und Kulturtheoretiker im deutschen und englischen Sprachraum bekannt. Mehr als 40 Jahre lang hat er sich an der Universität Köln umfassend mit Fragen zu Demokratie und Erziehung, sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit beschäftigt. Er hat den Grundstein für die Eröffnung der Inklusiven Universitätsschule der Stadt Köln gelegt und so auf praktische Weise an einer Veränderung der Lernkultur mitgewirkt. Zuletzt erschien im Westend Verlag "Der entgrenzte Mensch und die Grenzen der Erde" (2021) Außerdem für die Ohren: Die Podcast-Reihe "reich & nachhaltig: Gespräche mit Kersten Reich" - überall da, wo es Podcasts gibt!

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