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Das Auto muss weg!

Das Auto tötet jährlich Millionen Menschen, zerstört die Umwelt und die Atmosphäre. Schuld daran ist eine allmächtige Autoindustrie, die die Welt jedes Jahr mit mehr KFZ zumüllt. Autofahren macht süchtig, wir sind die Junkies, die Konzerne, Politiker und Medien bilden ein Drogenkartell, das uns Mobilität verspricht und Stau und Sterben beschert. Wollen wir nicht an die Wand fahren, ist es Zeit für eine Vollbremsung, sagt Klaus Gietinger.

Junkies sind wir alle, selbst die 40 Prozent oder knapp 35 Millionen, die keinen Führerschein besitzen. Das Auto ist in uns. Schon von frühester Kindheit an Autos, als Spielzeug, als Bobby-Car – versuchen Sie mal eine Straßenbahn zu finden für Ihr Kind, auch Spielzeugeisenbahnen sind inzwischen out. Als Videospiele wie Need for Speed oder GTA auf dem Nintendo oder der X-Box, bei Spielen im Internet – überall dominieren die Autos, als sei es die zweite Natur der Buben. Rasen heißt dabei das Ziel, die anderen von der Straße werfen und der Polizei davonfahren. Selbst der Crash ist nie wirklich schlimm, sondern nach Sekunden ist das Kfz wieder heil. Und die Mädels fahren immer mit, auch später.

Es gibt ein paar nichtmotorisierte Fahrzeuge, die bei Kindern Chancen hätten und haben: für die ganz Kleinen Laufräder und später Inlineskates, Roller, Skateboards, Mountainbikes, überhaupt Fahrräder und vielleicht bald sogar E-Roller. Das sind ausbaubare Fortbewegungsmittel, doch sie sind bislang vom Kfz bedroht, das sich seine Vormachtstellung nicht nehmen lassen beziehungsweise diese zurückerobern will.

Mama und Papa: Die tiefenpsychologische Ursache ihres Junkie-Daseins haben wir schon angerissen. Bei der Kleinfamilie kommen noch ein paar Gründe dazu, meist ziemlich fadenscheinige. Zwar fahren auch Singles, zwar bemüht sich auch das Drogenkartell immer stärker, die Alten ins Auto und ans Gaspedal zu locken, weil die Jungen nicht mehr so wollen, gleichwohl ist die Keimzelle des Motorismus: die Familie. Wird geheiratet, kommt ein Kind, so kommt auch das Auto: »Jetzt können wir nicht mehr anders, jetzt brauchen wir einen fahrbaren Untersatz.« Eine absurde Vorstellung: Wozu braucht man in der Stadt ein Auto für das Kind?

Zum Transport der Kinder? Zum Transport der Nahrungs-mittel, der Babytaschen, des Essbeutels oder des Schulranzens? Zum Transport der Spielsachen? Eine völlig unlogische Argumentation: Man braucht kein Auto für die Kinder, auch heute nicht! Heute sind der Radanhänger vielleicht noch gefährdet, der Gang in die U-Bahn mühsam, die Niederflurtram noch nicht überall unterwegs, der Bus zu schlecht vertaktet und überhaupt viel zu voll – aber das wird sich in einer revolutionierten Verkehrsgesellschaft ziemlich schnell ändern. Und warum nicht heute schon ab in die Eisenbahn, denn da darf man Kinder bis 15 umsonst mitnehmen.

Aber vielleicht braucht man das Auto vor allem für sich selbst. Ein Argument lautet: Rausfahren zum Großmarkt auf der grünen Wiese, um den Wocheneinkauf bequem zu tätigen. Ich frage mich: Wieso soll sich ein Stadtbewohner mit Grundnahrungsmitteln ganz weit draußen vor der Stadt versorgen, stundenlang mit dem Kfz fahren, kilometerweit über den Parkplatz und dann durch das Riesencenter latschen, wenn doch Aldi, Penny, Rewe, meine Bäckerei, mein Käseladen, meine Metzgerei, mein Gemüsehändler, mein Fischladen um die Ecke sind? Doch langsam macht sich ein Umdenken bemerkbar: Kurze Wege kommen wieder in Mode, zumindest in der Stadt. Aber solange Großmärkte auf der grünen Wiese stehen, werden sie angefahren. Dabei gibt es schon heute nichts Befreienderes, als ohne Auto zu sein – in einer revolutionierten Verkehrswelt allemal.

Wann also braucht eine Familie wirklich ein Auto? Vielleicht wenn sie den zweiten Blödsinn macht, den junge Kleinfamilien gerne machen: aufs Land zu ziehen. Man zieht aufs Land, weil doch in der Stadt der Autoverkehr so schlimm ist und die Kinder gefährdet sind. Die dafür sorgen, dass das so ist, sind die, die bereits aufs Land gezogen sind oder an den Stadtrand, weil sie die Kinder vor ihresgleichen schützen wollen. Die Junkies steigern ihre Sucht, weil sie Angst haben vor den anderen Junkies.

Und wenn sie ihr Landleben genießen, aber für jedes Brötchen und jede Kippe, jedes Mineralwasser und jede Kartoffel, jeden Schul- und Arztbesuch, für alles und jedes in ihr Auto steigen müssen, sind da immer noch die Durchgangsstraße oder die Umgehungsstraße oder die Landstraße, auf der die Kfzler vorbeirasen – also all diejenigen, die gerade für alles unterwegs sind, was sie zu Fuß oder mit dem Rad nicht mehr erledigen können. Und die gefährden dann die Kinder wieder im hohen Maße, vor allem, wenn sie flügge werden und nicht mehr nur hinten im Garten spielen wollen. Eine Gefährdung sondergleichen, denn die meisten und schlimmsten Unfälle passieren auf der Landstraße. »Viele kleine Ortschaften liegen jedoch direkt an Hauptstraßen, was das Spiel im Freien für jüngere Kinder zu gefährlich macht.« Übrigens ist die autolose Mobilität auf dem Land so verkommen, weil eben das strukturell jahrzehntelang geförderte Auto die Strukturen dort zerstört hat. Das muss sich ändern – erst dann sind die Menschen dort von ihrer Sucht befreit.

Klaus Gietinger

Klaus GietingerKlaus Gietinger ist Drehbuchautor, Filmregisseur und Sozialwissenschaftler. Sein Kinofilm "Daheim sterben die Leut" ist Kult. Er schrieb und drehte "Tatorte", TV-Filme, Serien und Dokumentationen (zuletzt "Wie starb Benno Ohnesorg?") und erhielt dafür zahlreiche Preise. Er ist Autor zahlreicher Bücher, u. a. "Eine Leiche im Landwehrkanal - Die Ermordung Rosa Luxemburgs", "Der Konterrevolutionär", "Totalschaden" oder "99 Crashes".

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