Das allgemeine Frühlingsgetue und -geturtel
Helmut Salzinger war Literaturkritiker der „Zeit“ und hatte Bücher über Walter Benjamin und über Musik geschrieben, als er sich Anfang der 1970er Jahre auf das Land zurückzog, um sich fortan möglichst biodynamisch mit Lebensmitteln zu versorgen. Seine Misserfolge und Erkenntnisse hat er in dem Buch „Der Gärtner im Dschungel“ niedergeschrieben – ein kleiner Auszug zu Frühlingsbeginn mit den besten Grüßen zum Osterfest, nicht nur für alle Gartenfreunde!
In Hinsicht des allgemeinen Frühlingsgetues und -geturtels rings umher, das in diesem Jahr schon außergewöhnlich früh – Mitte Februar – eingesetzt hat, eigentlich spät: heute die ersten größeren Züge Gänse in Richtung Osten, sehr hoch.
Durch die große Entfernung kam ihr Schrei gewissermaßen gefiltert bei mir an. So konnte ich hören, dass der Schrei, mit dem so ein Schwarm kommt und geht, sich aus den vielen einzelnen Schreien zusammensetzt, die jede einzelne Gans ausstößt, sobald sie fliegt. Das Schreien der Gänse beim Fliegen ist dem Lied der Lerche vergleichbar, das diese beim Aufstieg, bis sie im Scheitelpunkt ihres Fluges gleichsam steht, hervorbringt. Es hat den Anschein, als seien das Fliegen und das Singen zwei gekoppelte Funktionen, die beide der Bewegung, dem Ortswechsel, dienen. dass auch der Gesang dem Vogel zum Weiterkommen dient, ergibt sich aus der Tatsache, dass ein Vogel, dem das Singen genommen ist, auch nicht fliegt. Er bleibt, wo er ist, stehen. Lässt sich greifen. Manche, denen das Sehen genommen ist, singen aber auch ohne zu fliegen.
Die letzten drei Tage der Arbeit im Garten nach der langen winterlichen Untätigkeit haben mich in meinen Körper zurückgeprügelt, dass er jetzt ächzt und quietscht. Dennoch auch Entdeckungen gemacht.
Zum Beispiel die von fast reifer Komposterde inmitten eines Haufens von nur zum Sammeln gelagertem Material mit viel trockenfaserigem Zeug darin. Den aus dem faserigen Anteil gebauten neuen Komposthaufen, nehme ich mir vor, künftig als eine Art Ofen zu betreiben, der sehr langsam brennt und statt Asche Humus produziert. Er ist nach innen hin offen und kann von oben her mit alle Zeit anfallenden Küchenabfällen beschickt werden. Die Hitze kommt von innen. Entsteht bei der Verwandlung der aus Erde gewachsenen Materie zurück in Erde durch Bakterien, die das eine fressen und das andere ausscheiden.
Die reife Erde kommt, nass und klebrig wie sie noch ist, unter die Schwarzen Johannisbeeren, die es gerne feucht haben. Um die Feuchtigkeit zu halten, decke ich die Erde mit Stücken von ausrangiertem Strohteppich zu, die bald selber feucht werden und sich von unten her langsam zersetzen.
Es ist jetzt die Zeit, die im letzten Herbst versäumten Arbeiten nachzuholen; momentan ist auch das Wetter für solche Zwecke optimal. Habe gestern einen großen Teil des Tages damit verbracht, meine dreißig jungen Kiefern, inzwischen vierjährig, nach Ort und Stelle auszupflanzen, wo sie dann bleiben können. Habe sie, sämtliche 20 oder 23, die noch übrig waren, mit möglichst großem Ballen ausgegraben und auf einigen Abstand zwischen die Fliederbüsche und sonstiges Gestrüpp auseinander gepflanzt. Zugleich mag dies auch mein letzter Versuch sein, die allgegenwärtige Quecke auszurotten, weil die Kiefer, die nach meiner Beobachtung in ihrer Jugend gern und unbeeinträchtigt zwischen Quecken steht und sich von ihnen wohl auch überwachsen lässt, späterhin nichts Grünes mehr unter sich duldet, indem sie mit ihren abfallenden Nadeln allmählich den Boden verwandelt. Auch die Quecke verschwindet dann.
Heut war es kühler, jedoch auch sehr viel trockener als gestern, dazu ein stetiger Westwind. Ich bin fröstelnd hin und her gerannt, hab alles Mögliche angefangen und bin dann doch bald zum nächsten übergegangen. Habe die Heckenrosen im Südgarten gerodet, Staudenstrünke eingesammelt und auf meinen neuen Komposthaufen geschichtet. Eigentlich hatte ich vorgehabt, unter den Schwarzen Johannisbeeren zu jäten, doch der Boden war noch zu nass und zu kalt. Also hab ich stattdessen ein bisschen unter den jungen Fichten an der Straße gescharrt, die im Übrigen sehr schlecht aussehen, hab die wilden Brombeeren, die sie Jahr für Jahr unter sich begraben, ausgerissen und trockene Queckenhalme, Pappelblätter und kleine Erlenzweige aus den Asten geschüttelt, damit die noch übrigen Nadeln Licht und Luft bekommen und das Kohlenmonoxyd von der Straße, das sich sonst vor ihnen staut, nach unten hin abfließen kann.
Im Grunde war dies alles nichts weiter als die widerstandslose Hingabe an einen planlos-blinden Betätigungsdrang, der sich im Zuge des bereits erwähnten allgemeinen Frühlingsgetues, das offenbar nun auch mich erfasst hatte, gegen das bessere Wissen durchsetzte, das mir sagte, an einem solchen Tag voll innerlichen Fröstelns sei es zuträglicher, zu ruhen oder sonst wie die Dinge von innerhalb des Hauses aus anzugehen, und sei es, um sie zu betrachten.