Bitte mal eine Verbotspartei!
Das Verbot als Instrument einer gestalterischen Politik hat einen schlechten Stand. Ja, man unterstellt dem Verbot sogar, das Gegenteil von Gestaltung zu sein. Warum eigentlich?
Man kann den Grünen wirklich einiges vorhalten. Keine rote Linie zu haben, Sozialpolitik nach Demoskopie zu betreiben, Wirtschaftspolitik an neoliberale Think Tanks auszulagern oder auch falsche Schwerpunkte zu setzen. Aber dass sie unter Umständen, wenn sie Regierungsmacht hätte, zu einer Verbotspartei würde, das kann man ihr nicht vorwerfen – oder jedenfalls nicht negativ ankreiden.
Natürlich wird das der Partei aber regelmäßig vorgeworfen. Tippen Sie nur mal »Grüne« und »Verbote« in eine Suchmaschine ein – da wird man sogleich fündig. Die Grünen gelten quer durch alle Gazetten als Verbotsjünger, sie wollten Mikroplastik, Fracking und Ölheizungen verbieten. Also Vorsicht, mahnt der besorgte Journalismus: Da droht uns eine Verbotswelle. Nur die Linken seien noch schlimmer, hätten noch mehr Verbotsanträge im Bundestag gestellt.
Verbot als Eingriff: Die Erzeugung von Hilflosigkeit
Jeder Mensch bei Verstand will sich doch nicht bevormunden, sich was verbieten lassen. Da fühlt man sich gleich zu einem Kleinkind degradiert. So jedenfalls stellt man es in der Betrachtung gerne dar, man stilisiert das Verbot zu einem Eingriff in persönliche Belange, skizziert den Staat zu einem Überwacher, der einem nichts gönnt, sich einmischt und den man, aufgrund deutscher Geschichten, auf keinen Fall mehr dulden möchte.
Nein, der moderne und zeitgemäße Staat, so argumentieren die Befürworter des liberalen schlanken Staates jedenfalls, verbietet nichts mehr einfach. Er setzt vielmehr Anreize, pocht auf freiwillige Selbstkontrollen der Unternehmen, erteilt warme Ratschläge – er hofft lieber zurückhaltend das Beste, wo er auch durch klare Vorgaben das Beste erzwingen könnte.
Das Verbot wird zu einem tiefen Einschnitt in die persönliche Freiheit umdefiniert – dass es etwa auch Freiheitsgarantie sein kann, kommt dieser Denkart gar nicht mehr in den Sinn. Zum Beispiel dann, wenn man SUVs im städtischen Verkehr verbietet, und man so die Anwohner von Lärm, vollen Straßen und vermehrten Feinstaub befreit.
Das Laissez-faire des Zeitgeistes hat die Politik eingelullt. Sie soll nicht mehr einschränken und strikte Vorgaben machen; die allgemeine Vernunft würde schon von alleine eine gewisse Ordnung entstehen lassen. Die unsichtbare Hand wurde zu einer Ordnungskraft erhoben, sie soll durch Unterlassung regulieren – und reguliert daher natürlich gar nichts. Das Chaos durch das selbst auferlegte Verbot, auch zu Verboten zu stehen, beschwört ein hilfloses Gemeinwesen. In diesem sehen sich Menschen schutzlos Umständen ausgeliefert, die eigentlich einer effektiven Lösung bedürfen.
Mehr Verbote: Die Hebung des Gemeinsinns
Der Ökonom Heiner Flassbeck schrieb vor einiger Zeit, dass man das liberale Faible für Freiwilligkeit recht gut auf Deutschlands Autobahnen bestaunen könne. Wer hält sich denn wirklich an eine Richtgeschwindigkeit, die als warme Empfehlung zu betrachten ist? Sein Fazit: »Freiwilligkeit, die große deutsche Lösung bei vielen Fragen, wo es um gesellschaftliche Ziele geht, ist nichts anderes als Konfusion, als ein Missverständnis darüber, wie ein System funktioniert, dessen Mitglieder in einer gewissen Wettbewerbsbeziehung stehen.«
Dieses Unverständnis für die Systematik gesellschaftlicher Ordnung ist es, was im Grunde jeglichen Gemeinsinn im Keim erstickt. Denn dem Verbot als politisches Instrument wohnt ja auch – und vor allem – ein gestalterisches Element inne. Es ist nicht bloß, wie von den Liberalen geunkt wird, eine dumpfe staatliche Lust auf Gängelung, sondern eine Maßnahme zur Korrektur, zur Hebung der Fairness oder zur Unterbindung von Ungleichheit.
Die verordnete Einschränkung beinhaltet ja gegenüber der Allgemeinheit ein Recht auf deren Entfaltung. Wenn man beispielsweise zu schnelles Fahren auf den Autobahnen unter Verbot stellt, heißt das ja auch, dass langsamere Verkehrsteilnehmer nicht mehr gegängelt und mit der Lichthupe bedrängt werden. Der Verkehrsfluss für alle ist angenehmer, Staus minimieren sich. Im Schnitt kommen alle sicherer und vielleicht auch schneller an ihr Ziel.
Im Verbot findet sich also stets ein gesellschaftlicher Auftrag – Gemeinsinn eben. So zu tun, als habe das Verbot nun abgewirtschaftet, muss man als Form subtiler Entsolidarisierung betrachten, ja als Angriff auf die Allgemeinheit und damit als empfindliche Störung des Zusammenlebens. Insofern täte uns eine Verbotspartei durchaus gut. Ist sie mutig genug, könnte sie eventuell einen neuen Gemeinsinn anschieben.