/Kommentare/Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! – Bekenntnisse einer Kinderlosen

Vögeln fürs Vaterland? Nein danke! – Bekenntnisse einer Kinderlosen

Vögeln für den Kaiser, vögeln für den „Führer“, gegen den Kommunismus und nun für die Rentenkasse – Kinder fürs Vaterland zu gebären hat in Deutschland eine lange Tradition. Immer wieder liest man von der „demografischen Katastrophe“, die nun über Deutschland hereinbrechen und die Sozialsysteme ruinieren würde. Und wer ist schuld? Die Kinderlosen, die keinen Nachwuchs gezeugt und geboren haben, wird immer wieder gesagt.

Besonders populär sind Forderungen, Kinderlosen die Rente zu kürzen oder zu streichen, weil sie nicht für Nachwuchs gesorgt haben. Auffällig oft sind es Abgeordnete und Beamte, die sich zu Wort melden, die nicht in die Rentenkasse einzahlen. Ungeniert reden sie über das Geld anderer Leute.

Die Babyboomer haben das Problem quasi verursacht

„Wer keine Kinder hat, baut seine Zukunft auf die Kinder anderer Leute auf“, zitiert Nido den bekannten Sozialrichter Jürgen Borchert. Er gilt als „Robin Hood der Familien“, weil er die Rechtsprechung zu ihren Gunsten beeinflusst hat. Kinderlose verdanken es auch ihm, dass sie mehr Geld in die Pflegeversicherung einzahlen müssen. Er hat Trümmerfrauen zu mehr Rente verholfen – das war gut und richtig. Aber Kinderlosen vorzuhalten, sie würden ihre Zukunft auf Kinder anderer Leute aufbauen, ist eine Unverschämtheit. Im Übrigen dürfte Borchert als verbeamteter Richter keinen Cent in die Rentenversicherung eingezahlt haben. „Die Sache ist geritzt. Die Babyboomer haben das Problem quasi verursacht: Sie haben zu wenig Kinder bekommen und jetzt kriegen sie die Quittung dafür“, sagt auch Bernd Raffelhüschen, Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, wahrscheinlich ebenfalls verbeamtet. Auch Udo Di Fabio, bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht – dem obersten Gericht in diesem Lande also, das darüber wacht, dass die Verfassung eingehalten wird –, findet nichts dabei, Kinderlosen die Rente zu kürzen. „Einen vollen Rentenanspruch kann – jedenfalls dann, wenn man einer ganzheitlichen Gerechtigkeitsbetrachtung folgt – nur derjenige erwerben, der ausreichend Beiträge eingezahlt hat und zugleich im Verlauf seiner Erwerbsbiografie ausreichende Leistungen für die Sorge der Kinder erbracht hat.“

Ökonom Hans-Werner Sinn, siebzehn Jahre Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung, eines der größten Wirtschaftsforschungsinstitute dieses Landes, behauptet: „Die Babyboomer wollen eine Rente von Kindern, die sie nicht bekommen haben.“ Und der inzwischen verstorbene Johann Eekhoff, Direktor des Instituts für Wirtschaftspolitik der Universität Köln, forderte gar: „Die Renten von Kinderlosen müssten um die Hälfte gesenkt werden.“ Eekhoff war auch mal Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. „Kinderlose hätten nie in das Rentensystem aufgenommen werden dürfen, weil es nur funktioniert, wenn es von nachfolgenden Generationen finanziert wird“, sagte er der Bild-Zeitung. CSU-Familienexpertin Silke Launert fände es „gerecht, wenn Eltern, die die Beitragszahler von morgen großziehen, einen niedrigeren Rentenbeitrag leisten als Kinderlose.“ Aber auch Frau Launert war Richterin, bevor sie in den Bundestag einzog, also Beamtin.

Es ist das System, das sich selbst zerstört

Es ist BULLSHIT, die Kinderlosen für den Zusammenbruch des Rentensystems verantwortlich zu machen. Es ist das System, das sich selbst zerstört, weil die deutsche Rentenversicherung nichts anderes ist als ein „sittenwidriges Schneeballsystem“, wie der Historiker Götz Aly sie in der Berliner Zeitung einmal treffend genannt hat. Und weil Politiker die Rentenkasse plündern, um Dinge zu zahlen, die eigentlich alle Steuerzahler berappen müssten, wie zum Beispiel die Wiedervereinigung oder die Angleichung der Renten in Ost und West.

Tatsächlich funktioniert das deutsche Rentensystem im Prinzip so wie die Betrugsmaschinerie, die Charles Ponzi um 1920 erfunden hat. Nur dass in diesem Land Teile der arbeitenden Bevölkerung zwangsverpflichtet werden, in die Rentenkasse einzuzahlen. Während Ponzi seine Opfer beschwatzte und sie ihm ihr Geld freiwillig gaben. Seine Masche war denkbar schlicht und wird noch heute von vielen Betrügern in aller Welt kopiert: Anleger werden mit hohen Renditeversprechen dazu gebracht, ihr Geld zu investieren. Zunächst wirkt alles seriös, denn die versprochenen Gewinne ließen tatsächlich an die Investoren zurück. Was die Investoren nicht ahnen (oder vielleicht doch): Es sind nicht etwa Gewinne, die sie da einstreichen. Der vermeintliche „Gewinn“ wird von dem frischen Geld gezahlt, das neue Investoren einzahlen. Sie kassieren also das Geld anderer Leute. Das System funktioniert, solange frisches Geld nachgeschossen wird. Wenn der Geldstrom verebbt, bricht das System zusammen. Die Letzten beißen die Hunde. Sie gehen leer aus. Das Spiel ist aus.

Anstatt diesen Jahrzehnte alten Rechenfehler zu korrigieren und endlich eine solidarische Rentenversicherung zu schaffen, in die alle arbeitenden Menschen einzahlen, werden Kinderlose zu Sündenböcken gemacht.

Die Kritik an Kinderlosen ist eine zutiefst frauenfeindliche Debatte

Was außerdem geschickt unter den Tisch gekehrt wird: Die Kritik an Kinderlosen ist eine zutiefst frauenfeindliche Debatte. Es sind nun mal die Frauen, die Kinder gebären. Und sie bezahlen in diesem Land nicht selten mit ihrer beruflichen Existenz dafür. Während sich Abgeordnete eine Altersversorgung leisten, für die Arbeitnehmer mehrere hundert Jahre arbeiten müssten. In Deutschland senken Politiker die Rente, erhöhen die Lebensarbeitszeit, was nichts anderes bedeutet, als dass sie den Leuten bares Geld wegnehmen. Und damit das alles nicht so auffällt, schieben sie Kinderlosen die Schuld zu.

Übrigens werden Sie in meinem Buch keinen Satz finden, der sich gegen Mütter, Väter oder gegen Kinder richtet. Ich will, dass wir zusammenhalten und streiten für ein gerechteres Land. Es muss in diesem Land möglich sein, sich für Kinder zu entscheiden, ohne seine Existenz aufs Spiel zu setzen. Es muss in diesem Land für Eltern leichter werden, Familie und Beruf zu vereinbaren. Für Mütter. Und Väter. Es muss möglich sein, kinderlos zu bleiben, ohne sich zu rechtfertigen. Und wir brauchen eine solidarische Rentenversicherung, in die alle arbeitenden Menschen einzahlen. Auch Abgeordnete. Lasst uns gemeinsam streiten für ein besseres, gerechteres Land. Klingt pathetisch und ist genauso gemeint.

Kerstin Herrnkind

Kerstin HerrnkindKerstin Herrnkind wurde 1965 in Bremen geboren. Nach dem Studium volontierte sie bei der "Nordsee-Zeitung" und ging zur "taz". 1999 wechselte sie zum "Stern", wo sie seither als Reporterin arbeitet. Sie ist Autorin mehrerer Sachbücher und zweier Krimis. 2016 wurde sie mit dem Deutschen Reporterpreis ausgezeichnet. Kerstin Herrnkind wohnt in Lübeck und Hamburg.

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