Amazon im „Black December“
Fast alle kaufen bei Amazon – ist ja so bequem. Vor allem das Weihnachtsfest ist wie ein dauerhafter „Black Friday“ für den Konzern. Es wird gekauft auf Teufel komm raus. Vor allem in Deutschland: Rund 17 Milliarden Dollar setzte Amazon 2018 hierzulande um, viel davon im Weihnachtsgeschäft. Doch wenn wir nicht schon bald in die absolute Abhängigkeit zu einem Megakonzern mit zweifelhaften Geschäftspraktiken werden wollen, hilft nur zu sagen: „Schnauze, Alexa!“ So wie unser Autors Johannes Bröckers.
Der märchenhafte Aufstieg von Amazon begann mit Büchern. Die waren praktisch zu lagern, gut zu verschicken und hatten einen weiteren großen Vorteil: kontinuierlich neue Titel und Inhalte. Ein ideales Produkt für den Onlinehandel, zudem ausgestattet mit internationalen ISBN-Buchnummern, also perfekt geeignet für die Verarbeitung in automatisierten Prozessen. In Deutschland fand Amazon zudem einen optimal organisierten Markt vor, den Jeff Bezos 1998 als neuer Mitspieler betrat. Als Erstes brachte er die stationären Buchhändler ins Stolpern, deren Zahl seither ja auch schon markant geschrumpft ist. Die Leute lesen weniger, jedenfalls in klassischer Buchform, und wer online einkauft, kommt eben nicht mehr in den Buchladen. Inzwischen können sich aber auch die Verlage warm anziehen, denn Amazon hat sich mittlerweile zu einem Medienkonzern entwickelt, der neben Filmen und Serien jetzt ausgerechnet Bücher produziert. An die 800 Titel umfasst das Amazon-Programm inzwischen, Tendenz steigend. Deshalb hat Amazon jetzt zunächst schon mal schon einen Deal mit dem Buchgroßhändler Koch, Neff & Volckmar gemacht und sich so die Tür in alle deutschsprachigen Buchläden für das eigene Verlagsprogramm geöffnet. Jetzt mal Hand aufs Herz, verehrte Buchhändler, wenn morgen ein Kunde im Laden steht, der ein Buch aus dem Hause eines Amazon-Verlags kaufen will, kriegt der dann ein »Sorry, Amazon-Bücher kommen mir nicht ins Regal« zu hören, oder nehmen wir den schnellen Umsatz mit? Und warum beliefern Verlage einen Mitbewerber, der die gesamte Branche bedroht, noch immer direkt mit den eigenen Büchern? Das fühlt sich doch an, als lieferte man dem Gangster, der dich mit einem Revolver bedroht, noch selbst die Munition, mit der er dich im nächsten Augenblick plattmacht.
Spielen wir doch mal das Worst-Case-Szenario durch: Day One, Amazons Übernahmeangriff auf den deutschen Buchmarkt. Zunächst würde Amazon wahrscheinlich seine eigene stationäre Bookstore-Kette flächendeckend und an strategisch gut gewählten Standorten installieren. In allen Fußgängerzonen, Warenhäusern und in direkter Nachbarschaft zu etablierten Buchläden, so wie Amazon das bereits in Seattle, Chicago oder San Diego macht. In diesen ästhetisch wie inhaltlich normierten Shops präsentiert Amazon sein Bücherangebot im gewohnten Marketing-Sprech: »Bücher mit mehr als 10 000 Kritiken auf Amazon.com« oder »Bücher mit mehr als 4,5 Sternen«. Ganz sicher haben die Amazon-Algorithmen auch schon die Bestsellerlisten der letzten Jahre quer durch alle Genres gefiltert, um die, sagen wir, 500 umsatzstärksten Autor*innen, zu ermitteln. Die bewirft Amazon nun im zweiten Schritt so lange mit Geld, bis sie alle einen Vertrag unterschreiben und in Zukunft nur noch bei Amazon veröffentlichen. Mit einem Schlag hätte Amazon dann einen Großteil seiner verlegerischen Mitbewerber abgeräumt. Ein halbwegs ambitionierter Verlag verdient wahrscheinlich mit 85 Prozent der Bücher, die er auf den Markt bringt, nur wenig Geld und ist froh, wenn die Herstellungskosten eingespielt werden, denn oft genug steht da am Ende auch ein Verlustgeschäft. Und warum agiert ein Verlag so, wenn sich das gar nicht rechnet? Weil ihm vielleicht Autoren wichtig sind, die etwas zu erzählen und zu sagen haben, und Bücher mit Themen, die sich nicht immer nur am Mainstream orientieren.
Der Vorteil für den Leser ist eine große Angebotsvielfalt, die letztlich von den fünfzehn Prozent der überdurchschnittlich gut gehenden Bücher und Bestseller mitgetragen und finanziert wird. Zieht Amazon also nun nur diese fünfzehn Prozent der Umsatzbringer auf seine Seite, liegt der Konkurrent am Boden. Eine gruselige Vorstellung, aber so ungefähr könnte das funktionieren. Und spätestens jetzt müssten doch alle Alarmsirenen anspringen, Code Red im Dauerton. Denn wenn es so weit kommt, haben neben Buchhändlern und Verlagen bald auch die Großhändler ausgedient. Wenn Amazon in naher Zukunft über die größte Ladenkette verfügt und online sowieso der größte Vertriebskanal ist, warum sollte Jeff Bezos dann noch Umsätze mit einem Großhandel teilen, der sowieso hauptsächlich die eigenen Shops beliefert? Das können dann doch seine bestens organisierten Logistikzentren gleich noch mit übernehmen. Auf »Märkte dominieren«, folgt »Märkte ersetzen«. Schön blöd, aber es nutzt ja jetzt auch nichts – wie eigentlich immer in den letzten 20 Jahren –, weiter in Angststarre gefangen zuzuschauen, wie sich Amazon in ungebremstem Angriffsmodus immer größere Teile des Spielfeldes sichert. Da wäre doch jetzt langsam mal Bewegung und ein koordinierter Gegenangriff angesagt.
Wie also könnte der Day One der deutschen Buchbranche aussehen, um Amazon den Wind aus den Segeln zu nehmen? Nur mal als Idee: Alle Verlage und Buchhändler in Deutschland verbünden sich und installieren die gemeinsame Lese- und Bücherplattform im Netz. Ein Onlineshop, der im Verbund mit den Buchhändlern über rund 5000 Abholstationen im ganzen Land verfügt, die jeden Kunden auch noch kompetent beraten können. Ein Onlineshop mit einem Serviceangebot, bei dem selbst Amazon nicht mithalten kann. Der Kunde hat die freie Wahl: Er kann sich seinen Lesestoff online bestellen, nach Hause liefern lassen oder beim Händler seiner Wahl selbst abholen und ein Gespräch mit seiner Buchhändlerin führen statt mit Alexa. Er kann sein Buch aber auch im Laden kaufen und selbst nach Hause tragen oder den Lieferservice in Anspruch nehmen. Ein Konzept also, das die digitalen Vertriebs- und Servicemöglichkeiten im Sinne der Kundenzufriedenheit nutzt und gemäß der Philosophie »Support your local dealer« gleichzeitig die analogen Marktstrukturen stärkt und damit Arbeitsplätze sichert, statt sie wie Amazon zu zerstören. Auf dieser Plattform könnten natürlich auch alle Selfpublisher dann endlich ein Zuhause finden. Eine Subkultur, die im Schatten und jenseits von ISBN-Nummern blüht, und ein wachsender Markt, den man bisher komplett und alleine Amazon überlässt. Ach ja, und wenn man das Ganze dann zum Beispiel als Genossenschaft organisiert, könnte man auch gleich alle Leserinnen und Leser als Teilhaber mit an Bord holen. Kundenbindung über Genossenschaftsanteile – das wäre doch ein deutlich spannenderes und nachhaltigeres Angebot, als weiterhin die Gebühren fürs Prime-Abo bei Amazon einzuzahlen. Sicher, dann müssten sich alle zusammensetzen, eine Runde nachdenken und faire Konditionen aushandeln, damit der stationäre Handel auch beim Onlinebusiness mitverdient, aber das wäre doch mal eine Ansage.