Älter wirst du sowieso
Wir haben es selbst in der Hand, wie gut und wie lange wir leben, sagt der Ernährungsmediziner Cem Ekmekcioglu. Denn einen relativ großen Anteil an unserem Krankheits- oder Sterblichkeitsrisiko haben vermeidbare Faktoren, die wir selbst beeinflussen können: von diversen Aspekten des Lebensstils bis zu soziopsychologischen Einflüssen. Cem Ekmekcioglu beschreibt in seinem Buch die wichtigsten und relevantesten Faktoren, bezieht zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen aus verschiedensten Forschungsdisziplinen ein und gibt konkrete Handlungsanweisungen, wie man mit verhältnismäßig kleinem Aufwand seine Lebensweise optimiert, um fit und glücklich alt zu werden.
Niemand will alt werden, behaupte ich mal nicht allzu provokant und meine dabei vor allem Menschen ab 40, 50 Jahren und aufwärts. Das Problem ist jedoch, dass nur zwei Dinge in der menschlichen Existenz unausweichlich sind – das Altern und der Tod. Über den Tod und eine mögliche Existenz danach macht sich der Mensch schon seit Jahrtausenden Gedanken. Intensiv über das Altern erst seit dem 20. Jahrhundert. Dabei haben die enormen Entwicklungen in den biomedizinischen Wissenschaften dazu geführt, dass wir den Prozess des Alterns heute viel besser verstehen, wobei immer noch viele Fragen unbeantwortet sind.
Die Lebenserwartung ist in den letzten 100 Jahren stetig angestiegen. Saubereres Trinkwasser, bessere Sanitäreinrichtungen, Wohnverhältnisse und Bildung, hochwertigere Ernährung, aber vor allem auch beachtliche Fortschritte in der Medizin, sowohl in der Diagnostik und Therapie als auch in der Prävention, haben dazu beigetragen, dass viele Menschen ein höheres Alter in einem immer besserem Gesundheitszustand erreichen. Vor nicht allzu langer Zeit war ein Alter von 70, 80 Jahren bereits jenseits der Vorstellungskraft, geschweige denn der körperlichen Möglichkeiten der allermeisten Menschen. Mittlerweile denken wir in dreistelligen Dimensionen.
Verschiedenste wissenschaftliche Disziplinen, angefangen von der Soziologie bis hin zur Medizin, beschäftigen sich intensiv mit dem Altern des Menschen und den Möglichkeiten, (medizinischen) Problemen und Konsequenzen einer alternden Gesellschaft. Grundsätzlich existiert keine eindeutige Definition für das Altern. Unter Altern könnte man etwa verstehen, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit aufgrund von körpereigenen (degenerativen) Prozessen zeitabhängig abnimmt. Eine andere Erklärung könnte sich auf eine zunehmende, allgemeine Beeinträchtigung physiologischer Organfunktionen beziehen, die schließlich zu Gebrechlichkeit, Krankheiten und Tod führt.
Nach neueren Überlegungen ist Altern auch die Unfähigkeit des Organismus, adäquat auf externe und interne Stressoren zu reagieren, sodass es dadurch zu einer Störung des inneren Gleichgewichts, der sogenannten Homöostase, kommt. Kein Mensch kann sich dem Altern entziehen. Viele Faktoren, die vor allem mit unserem Lebensstil zu tun haben, beeinflussen den Alterungsprozess, sodass Altern nicht gleich Altern ist. Fit oder träge, kerngesund oder krank, zufriedenen oder mürrisch: Das Alter hat viele Gesichter.
Das wissenschaftliche Interesse an der Erforschung des Alterungsprozesses wurde insbesondere durch zahlreiche Experimente an Modellorganismen geweckt – etwa dem Fadenwurm C. elegans oder der Fruchtfliege D. melanogaster –, bei denen durch genetische Manipulation die Lebensspanne verlängert wurde. Bei Nagetieren konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass eine Verminderung der täglichen Kalorienzufuhr (oder caloric restriction in der englischen Fachliteratur) den Todeszeitpunkt hinauszögert. Bahnbrechende Versuche bei Primaten zeigten außerdem eindrucksvoll, dass eine lebenslange Kalorienrestriktion ohne Mangelernährung das Risiko für viele altersabhängige Erkrankungen reduziert.
Wie lange und wie gut wir leben hängt, neben der immens wichtigen Hygiene und medizinischen Versorgung, sowohl von beeinflussbaren beziehungsweise vermeidbaren als auch von nicht beeinflussbaren beziehungsweise unvermeidbaren Faktoren ab. Diese determinieren unser Risiko sowohl für Krankheiten als auch für (vorzeitige) Sterblichkeit und damit die Lebensspanne. Der nicht beeinflussbare Teil bezieht sich vor allem auf die familiäre (genetische) Belastung, wohingegen Lebensstil, Lebenseinstellung und Lebensumgebung als beeinflussbare Faktoren den Hauptteil eines langen und guten Lebens ausmachen. Der Unterschied zwischen »optimalen« und »schlechten« Bedingungen kann, grob geschätzt, bis zu 20 oder 30 Jahre betragen. Die maximale Lebensspanne, die derzeit bei circa 120 Jahren liegt und eine realistische Obergrenze bei etwa 90 bis 100 Jahren aufweist, wird jedoch nicht so oft überschritten. Trotzdem ist es ein riesiger Unterschied, ob ich mich mit 65, nach jahrelangem schlechtem Gesundheitszustand, oder mit 90, nach einem gesunden, erfüllten Leben, in dem ich vieles erreicht habe, von dieser Welt verabschiede.
Die vermeidbaren Faktoren wie Rauchen, körperliche Inaktivität und ungesunde Ernährung oder auch soziopsychologische Einflüsse wie Einsamkeit oder negative Lebenseinstellung beeinflussen nicht nur unsere Lebensspanne, sondern auch unser Krankheitsrisiko. Mit einer gesunden, positiven Lebensgestaltung, insbesondere im frühen und mittleren Lebensalter, wird die Basis für ein langes und vor allem auch gutes Leben gelegt.
Generell ist gesundes Altern mit einer ausreichenden Gesundheitsprävention und -versorgung, einer befriedigenden sozialen Umwelt sowie persönlicher Sicherheit assoziiert. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst diese drei Bedürfnisse, die eine Verbesserung der Lebensqualität bewirken sollen, unter dem Begriff »active aging«, also »aktiv altern«, zusammen.
Ein zentrales Ziel ist die Wahrung der Autonomie und Unabhängigkeit des älteren Menschen, was nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gesellschaft, das Gesundheitssystem und die Politik von enormer Bedeutung ist. Dies verdeutlicht der Begriff »healthy life expectancy«, die Lebenserwartung bei guter Gesundheit. Eine vollständige Gesundheit ist im hohen Alter realistischerweise häufig nicht möglich, was jedoch durchaus möglich ist, ist ein Leben frei von (schweren) Behinderungen und Schmerzen, sodass persönliche Unabhängigkeit und Lebensqualität gewährleistet sind. Es geht daher nicht nur um ein langes Leben, sondern um ein Leben mit wenig Arztbesuchen, Medikamenten und Krankheiten, die mit einer spürbar eingeschränkten Lebensführung einhergehen.
Außerdem geht es um ein glückliches Leben. Freude, Glück und Lebenszufriedenheit stehen natürlich auch in Zusammenhang mit den Genen, dem Charakter und der Persönlichkeit des Einzelnen, und vor allem mit den Lebensbedingungen und -ereignissen. Aber auch für chronische Pessimisten gibt es Möglichkeiten, umzudenken und die innere Negativität zu überwinden.
Um die Wahrscheinlichkeit für ein langes Leben in Autonomie zu erhöhen, ist es wichtig, bereits in jüngeren Jahren zu investieren. Wobei das Wort »investieren« vielleicht einen negativen Beigeschmack hat. Mit investieren meine ich einen wenigstens halbwegs gesunden Lebensstil zu führen und zu versuchen, ein Mindestmaß an positiver Lebenseinstellung in den Alltag zu integrieren.