/Kommentare/Hier gilt’s der Kunst – Wieland Wagner, Bayreuth und Adolf Hitler

Hier gilt’s der Kunst – Wieland Wagner, Bayreuth und Adolf Hitler

Wieland Wagner (1917-1966), Enkel von Richard Wagner und Sohn der Hitlerverehrer Siegfried und Winifred Wagner, spielt bei der intensiven Verbindung von Bayreuth mit dem Nationalsozialismus eine entscheidende und bis heute nicht aufgearbeitete Rolle. Hitler fördert seine Karriere und Wagner folgt strategisch wie stilistisch den Prinzipien des Nationalsozialismus, um die Leitung der Bayreuther Festspiele zu übernehmen. In der jungen Bundesrepublik erreicht er schließlich sein Ziel: 1951 wird er zusammen mit seinem Bruder Wolfgang Leiter der neu gegründeten Festspiele. Anno Mungen nimmt Wieland Wagners künstlerische Tätigkeit vor 1951 in den Blick.

Der junge Wagner will mehr als nur fotografieren, ihn interessiert alles, was die bildende Kunst ihm bietet. Malerei und Bühnenbildnerei verdrängen dabei zunehmend die Fotografie. Ihm hilft, dass er anders als sein Bruder Wolfgang zu Kriegsbeginn nicht eingezogen wird. Wie es dazu kommt, berichtet der in seinen Memoiren, die er 1994 unter dem Titel Lebens-Akte vorlegt. Hitler persönlich kümmert sich demzufolge darum und beauftragt Winifred Wagner, ihm eine Liste mit fünfundzwanzig jungen Männern zusammenzustellen, die mit Beginn des Krieges 1939 sofort freizustellen sind: Sie komponieren, malen, singen oder entwerfen Bühnenbilder für die Oper. Nur eine Handvoll der Namen auf dieser Liste ist bekannt geworden. Zwei von ihnen interessieren Hitler besonders.

Hochbegabt, sensibel und dunkelhaarig gleicht Ulrich Roller einer Figur, die Thomas Mann hätte erfinden können. Beruflich folgt der 1911 geborene seinem berühmten Vater, dem Maler und Grafiker Alfred Roller, und tritt in dessen Fußstapfen. Vater Roller ist Professor der Kunstgewerbeschule, hochangesehener Vertreter der Moderne, Mitbegründer der Wiener Secession und gefeierter Bühnenbildner der dortigen Oper. Seine Arbeiten ziehen zu Beginn des Jahrhunderts auch den jungen Hitler in seinen Bann. Ulrich Roller legt man im Sommer 1934 bei seiner Verhaftung im Zuge der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß zur Last, mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache zu machen. Er kommt ins Gefängnis. Vater Roller verstirbt 1935, während Sohn Ulrich seine Strafe absitzt. Aus dem Gefängnis entlassen, nimmt dessen Karriere Fahrt auf. Sein erstes Engagement führt ihn als Bühnenbildassistenten nach Bayreuth, wo er Wagner berät und hilft. Dann geht es nach Berlin. Roller trifft hier auf den wichtigsten Bühnenbildner im Land, Benno von Arent, der nicht nur für das Theater arbeitet, sondern auch Aufmärsche inszeniert, Mode, militärische Uniformen und Anstecknadeln entwirft. Nach dem Anschluss Österreichs geht es an die Wiener Staatsoper, eine der ersten Adressen des Regimes in Sachen Oper seit 1938.

Der zweite auf Winifred Wagners Liste ist Sohn Wieland. Wie Roller will er Bühnenbildner werden, nicht zuletzt, um Hitler zu imponieren. Zunächst kümmert sich Jugendstilkünstler Franz Stassen als Freund des Vaters um die künstlerische Erziehung des Jungen, mit dem er Skizzen zu Opern des Vaters und Großvaters anfertigt. In Lübeck spielt man den Bärenhäuter von Siegfried Wagner in Kulissen, die auf Skizzen des Sohnes zurückgehen, wie Paul Bülow im Festspielbuch von 1936 berichtet. Hier kündigt er auch an, dass ein Entwurf des jungen Wagners zur Götterdämmerung in Detmold ausgestellt wird. Im Jahr 1936 erhält Wagner dann einen ersten Auftrag: Ausgerechnet er soll Alfred Rollers Bayreuther Parsifal-Bühnenbilder der vorangegangenen Spielzeit überarbeiten. Die Reaktionen auf dieses Debut 1937 fallen schlecht aus. Joseph Goebbels nennt die Arbeit in seinem Tagebuch handwerklich missraten, »verunglückt« und »dilettantenhaft« erscheinen ihm die Bühnenbilder, auch Benno von Arent missfallen sie. Wagner beginnt zu verstehen: Weder der berühmte Name noch seine Herkunft garantieren ihm Beifall. So beginnt er 1938 ein Privatstudium bei Ferdinand Staeger, Professor an der Münchner Kunstakademie, der ihn vier Jahre lang in Malerei unterrichtet. Auch die Musik lernt Wagner unakademisch. Mutter Winifred Wagner holt den Chefdirigenten der Heidelberger Oper, Kurt Overhoff, 1940 nach Bayreuth, wo er für die gleiche Gage wie in Heidelberg als Wagners privater Musiklehrer seine neue Aufgabe wahrnimmt.

Hitler ist Wagners Mentor. Der Diktator verfolgt einen barock anmutenden Hang, das Denkbare in Architektur, Theater, Malerei und Städtebau mit sich selbst im Mittelpunkt zu inszenieren, es ist Teil seiner Politik. Wagner kennt Hitler als den Freund der Eltern von klein an und erbietet ihm Respekt. Der engagiert sich für ihn, und es ist nicht wenig, was Hitler für Wagner tut. Er schanzt ihm Aufträge zu, stellt ihn vom Militär frei und lässt sich von ihm fotografieren. Letzteres ist deshalb nicht gering einzuschätzen, weil Hitler die Bildrechte an seinem Konterfei sonst nur Heinrich Hoffmann einräumt. Wagner aber darf seine Hitlerfotos vermarkten. Außer dem Doppelporträt mit Goebbels ist ein weiteres Hitlerfoto bekannt. Es erscheint als Postkarte sowie in Programmbüchern der Bayreuther Festspiele 1934 und 1939 sowie der Richard-Wagner-Festwochen 1936 und 1938 in Detmold. Das Geschäft mit den Führerbildern ist einträglich. Sie bringen dem Siebzehnjährigen im Mai 1934 einen Verdienst von 952,30 Mark, im Juni sind es 900,60 Mark und im August 681,68 Mark. Der Wert der Reichsmark damals entspricht heute dem von vier bis fünf Euro.

Anno Mungen

Anno MungenAnno Mungen, geboren 1961 in Köln, ist Musikund Theaterwissenschaftler an der Universität Bayreuth und Leiter des Forschungsinstituts für Musiktheater in Thurnau. Seine Arbeitsschwerpunkte sind das Musiktheater vom 18.–20. Jahrhundert, Musik und Film sowie Oper und Politik. Mungen, einer der Herausgeber des Bandes Music Theatre as Global Culture zum Wagnerjubiläum 2013, arbeitet aktuell viel zur Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient und lebt in Köln und Bayreuth.

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